Seit Monaten gehen tausende Schülerinnen und Schüler bundesweit für einen verstärkten Klimaschutz auf die Straße - und bringen ihre Motivation anschließend mit zurück in den Unterricht. Schulen sollten die Bewegung daher nutzen, um sich der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) zu verschreiben. Das lässt sich praktisch leichter angehen, als mancher befürchten mag.
Sollen Schülerinnen und Schüler, die für die „Fridays for Future“-Demonstrationen den Unterricht schwänzen, bestraft werden? Diese Frage haben sich zu Beginn der Bewegung viele Schulen gestellt. In den meisten Fällen haben sie aber bessere Lösungen gefunden: Statt Bußgelder zu verhängen oder Verweise auszusprechen, veranstalten einige Lehrer offizielle Exkursionen zu den Kundgebungen, andere organisieren Projekttage zum Thema Nachhaltigkeit oder planen Podiumsdiskussionen. Immer mehr Schule versuchen mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam, mehr Energie zu sparen, Ressourcen im Schulalltag verantwortungsvoller zu nutzen und das individuelle Konsumverhalten stärker zu hinterfragen.
Doch nicht erst seit den Fridays-for-Future-Demonstrationen steht das Thema Nachhaltigkeit für Schulen auf der Agenda. Die Schülerbewegung bringt dafür aber definitiv neuen Schwung. Tipps für Lehrerinnen und Lehrer, wie sie ihn nutzen können, hält die Deutsche UNESCO-Kommission parat. „Sie versetzt Menschen in die Lage, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen und abzuschätzen, wie sich eigene Handlungen auf künftige Generationen oder das Leben in anderen Weltregionen auswirken“, so heißt es auf der Homepage. Klingt wie: mal eben die Welt retten – geht das im Schulalltag?
„Nachhaltige Entwicklung muss Querschnittsthema werden“
Bianca Bilgram und Klaus Schilling lächeln. Die beiden – die eine: Leiterin der Geschäftsstelle Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) bei der Deutschen UNESCO-Kommission, der andere: als langjähriger Lehrer Mitglied der BNE-Steuerungsgruppe seiner Schule (und seit kurzem Bundeskoordinator der UNESCO-Projektschulen) – kennen die Vorbehalte. Sie wissen aber auch: Es geht. Mehr als 300 Projektschulen in Deutschland machen vor, wie Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Praxis gelingen kann. Bianca Bilgram: „Niemand muss das Rad neu erfinden. Wir haben in Deutschland sehr, sehr viele gute Beispiele aus Schulen. Die kann ich mir anschauen und fragen: Was passt? Was können wir auf uns übertragen?“ Klaus Schilling: „Die größten und tollen Dinge geschehen, wenn man gemeinsam auf dem Weg ist.“ Dafür müsse man erst einmal nur loslaufen.
Die Möglichkeiten sind vielfältig – ob das die Beteiligung an Projekten wie „WeltFAIRsteher“ ist, die Teilnahme am Wettbewerb „Verbraucherschulen“, ob es sich um ein Engagement in Sachen Demokratiebildung handelt, etwa „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, um gesunde Ernährungskonzepte für die Mensa oder um eine Projektgruppe für mehr Klimaschutz im Schulgebäude. Auch kleine Veränderungen wie der Anbau von Gemüse im schuleigenen Garten, die Einführung von Mülltrennung oder der Verkauf von fair gehandelten Produkten im Schulkiosk sind mögliche erste Schritte.
Wer die beiden Fachleute fragt, was eine Schule konkret tun kann, um den Ansatz zu etablieren, bekommt allerdings zunächst erklärt, was BNE nicht ist: nämlich ein Schulfach. „Im Kontext Schule gibt’s ja weiterhin eine starke disziplinäre Aufteilung“, erklärt Bianca Bilgram. Die aber passe nicht zu den Problemen, vor denen die Menschheit steht. „Die globalen Herausforderungen werden sich nicht von isolierten Disziplinen lösen lassen, sondern nur im Zusammenwirken, also interdisziplinär. Deshalb muss nachhaltige Entwicklung zum Querschnittsthema in der Schule werden“, sagt die Literaturwissenschaftlerin und Anthropologin. Auch die Art des Lernens habe damit viel zu tun. Heißt: „Lernen ist ein forschender Prozess, der aktionsorientiert ist. Durch das eigene Handeln lernen wir am besten.“
„Lehrerinnen und Lehrer müssen nicht alles neu machen“
Und was soll gelernt werden? „Es geht darum, Menschen zu stärken, fit zu machen, um eine nachhaltige Entwicklung vorantreiben zu können“, sagt die Expertin. Dabei sei, klar, zunächst die Wissensvermittlung wichtig. Ob zum Klimawandel, zu Biodiversität oder zu sozialen Problemen – wer die Hintergründe verstehen will, benötigt valide Informationen. Mit entscheidend ist aber auch die Lernumgebung. Auch die soll dem Grundsatz der Nachhaltigkeit folgen, ob es dabei um das Angebot in der Schulmensa geht oder um den Energiehaushalt einer Schule. Schließlich müsse auch die Pädagogik passen. „Dazu gehört zum Beispiel die Frage, wie das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden ist?“ Werte vermitteln, Vorbild sein, vorausschauendes und selbständiges Denken fördern – das alles ist Teil einer Bildung zur Nachhaltigkeit.
„Zentral ist dabei der Begriff des ‚Whole-School-Approaches‘“, ergänzt der Schulpraktiker Schilling. Soll heißen: Es handelt sich um einen ganzheitlichen Ansatz, der das ganze Schulleben umfasst und die gesamte Schulgemeinde einschließt. „Eine Schule, die der Bildung für nachhaltige Entwicklung verpflichtet ist, arbeitet vernetzt, nutzt die Ressourcen und die Motivation der Schülerinnen und Schüler, der Lehrerinnen und Lehrer, der Eltern, der Schulträger, möglicherweise auch der Zivilgesellschaft vor Ort, um sich gemeinsam auf den Weg zu machen.“
Und der Weg ist – zunächst – das Ziel. „Welche realen Auswirkungen der Ansatz hat, wird dann in den Projekten und in den strukturellen Veränderungen sichtbar, die in der Schule realisiert werden – beispielsweise bei den Teamsitzungen, bei Schulpartnerschaften mit internationalen Partnern, wenn Schülerinnen und Schüler eine wilde Hecke gemeinsam anlegen oder wenn sie Verkehrsteilnehmer auf der Straße zu ihren Mobilitätsvorstellungen interviewen. Überall lassen sich dann die Spuren dieses Engagements oder dieser Orientierung finden.“ Heißt: Das Große beginnt im Kleinen.
Dabei hilft zunächst eine Bestandsaufnahme. „Eine Schule, die sich in Richtung Nachhaltigkeit orientieren möchte, sollte anschauen, was sie schon hat. Möglicherweise besteht bereits eine Kooperation mit dem Biobauernhof in der Nachbarschaft, weil die Klassen der Jahrgangsstufe 6 dort immer wieder im Rahmen eines Exkursionstages hinfahren. Das kann ich dann aufnehmen und ausbauen.“ Das gilt auch für den Unterricht. „Wo sind die Inhalte unserer Fächer bereits auf Bildung für nachhaltige Entwicklung ausgerichtet?“
Hilfe von außerschulischen Partnern
Zweiter Schritt: „Hier ist zu klären, welche interessanten Akteure aus der Nähe eingeladen werden können – Eine-Welt-Läden, Umweltgruppen, Partnerschaftsvereine, möglicherweise lassen sich über den Schulträger auch lokale Umweltbeauftragte oder Energiebeauftragte ausmachen und mit denen gemeinsam überlegen, was sich auf die Beine stellen lässt. Die sind oft begeistert, wenn sich die Schule öffnet.“ Auch innerhalb des Kollegiums können Synergien genutzt werden. „Wo lässt sich zwischen den Fächern zusammenwirken? Wo bestehen Schnittstellen zu gemeinsamen BNE-relevanten Themen wie Gerechtigkeit, Klimawandel oder Demokratie? Das ist ein Austausch, der in einzelnen Lehrerinnen- und Lehrerteams ungemein fruchtbar sein kann“, sagt Klaus Schilling. Und betont: „Meine Botschaft ist: Lehrerinnen und Lehrer oder die Schulleitung sollen nicht glauben, sie müssten alles neu und alles selbst machen. Sie sollten vielmehr erst einmal darauf schauen: Was machen wir sowieso?“ Und dann gehe es um Vernetzung, Mut und Teilhabe am gemeinsamen Entwicklungsprozess.
Als renommiertes Gremium nimmt, angesichts der fortlaufenden Schülerproteste, auch das Fachforum Schule der „Nationalen Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung“ die Schulen in die Pflicht. In einem Grundsatzpapier betonen sie „die Notwendigkeit, die Umsetzung von Bildung für nachhaltige Entwicklung in Unterricht und Schulentwicklung mit Nachdruck voranzutreiben“. Derzeit herrscht dafür viel Rückenwind: Schülerinnen und Schüler, die freitags für den Klimaschutz demonstrieren, bringen für Nachhaltigkeit viel Motivation mit in die Schule.