Datum: 18.10.2017

Cybermobbing und Hate Speech: das hässliche Gesicht der Internetkommunikation

Schulen brauchen Interventions- und Präventionsstrategien

Beim Cybermobbing wird das Smartphone zur Waffe.

Quelle: (c) StockSnap - Pixabay.com - CC0 Public Domain

Mit steigendem Alter gewinnt das Internet an Attraktivität für Kinder und Jugendliche – vor allem die älteren schätzen die Kommunikationsmöglichkeiten, die es bereithält. Doch soziale Netzwerke und Kurznachrichtendienste bieten auch eine Plattform für Cybermobbing und Hate Speech. Lehrkräfte sollten sich dieser möglichen Probleme bewusst sein und Schulen über Konzepte der Prävention und Intervention verfügen.

In Anlehnung an die Definition des Mobbingbegriffs bedeutet Cybermobbing, dass eine oder mehrere Personen eine ihnen in der Regel bekannte Einzelperson über einen längeren Zeitraum über digitale Medien schikanieren, indem sie sie etwa beleidigen, bedrohen, bloßstellen oder verleumden. Allerdings: „Bei Cybermobbing kann schon ein einzelner Vorfall eklatante Auswirkungen haben, zum Beispiel wenn ein einmal veröffentlichtes Bild von anderen Personen immer wieder geteilt wird“, sagt Herbert Scheithauer, Professor für Entwicklungspsychologie und Klinische Psychologie an der Freien Universität Berlin und Miturheber des Cybermobbing-Präventionsprogramms „Medienhelden“. Der einzelne Angriff habe somit ähnlich negative Folgen, wie andere Verhaltensweisen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken.

Darüber hinaus sei noch nicht abschließend geklärt, welche Verhaltensweisen dem Oberbegriff Cybermobbing zuzuordnen seien und welche nicht, so Scheithauer. Hate Speech, also eine bewusst menschenverachtende und volksverhetzende Sprache, könne etwa als Ausdruck von Cybermobbing auftreten, richte sich aber eher gegen Gruppen und nicht gegen Einzelpersonen. Dabei erfährt die betroffene Person die Abwertung, weil sie etwa aufgrund ihres Glaubens, ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres Körpers einer bestimmten Gruppe zugeordnet wird. „Im pädagogischen Alltag besteht zwischen Cybermobbing und Hate Speech eine enge Nähe“, sagt Diplom-Pädagoge Matthias Felling von der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz in Nordrhein-Westfalen. „Schüler unterscheiden nicht. Für sie handelt es sich jeweils um hasserfülltes, aggressives Verhalten, das zielgerichtet schädigen soll.“

Mit dem Alter steigt die Gefahr

Vor allem im späten Kindesalter sowie im Jugendalter sei die Gefahr am größten, von Cybermobbing betroffen zu sein, so die Experten. In dieser Phase besitze ein Großteil der Kinder und Jugendlichen ein digitales Medium mit Internetzugang, über das sie mit zunehmendem Alter auch vermehrt kommunizierten. Darauf weisen auch die Ergebnisse der aktuellen KIM- und JIM-Studien zum Medienumgang der Sechs- bis 13- und Zwölf- bis 19-Jährigen hin. Gleichzeitig haben zu dieser Zeit Beziehungen zu Gleichaltrigen eine enorme Bedeutung, so dass die Wahrscheinlichkeit von Konflikten zunehme, die sich online abspielen oder fortsetzen.

Die tatsächliche Größe des Problems lässt sich allerdings nur schwer beziffern. Ein Grund dafür, so Professor Scheithauer, seien die unterschiedlichen Begriffsdefinitionen, auf denen wissenschaftliche Untersuchungen zum Phänomen fußten. In der JIM-Studie lautete die entsprechende Fragestellung: „Gibt es jemanden in Deinem Bekanntenkreis, der schon mal per Handy oder im Internet fertig gemacht wurde?“ Gut ein Drittel der Zwölf- bis 19-Jährigen bejahte diese Frage, acht Prozent bestätigten zudem, dies selbst schon einmal erlebt zu haben. „Dies entspricht einer Größenordnung von etwa 500.000 Jugendlichen in Deutschland“, heißt es im Ergebnisbericht.

Die Folgen für die Betroffenen können schwerwiegend sein: Ein verringertes Selbstwertgefühl, Angst, Verzweiflung, Depression und psychosomatische Reaktionen, wie Bauchschmerzen und Schlafstörungen, sind ebenso möglich wie Schulunlust und Schulverweigerung. „In extremen Fällen kommt es zu einer posttraumatischen Belastungsstörung, zu Suizidgedanken oder -versuchen“, sagt der Berliner Professor, schränkt aber ein: Letzteres sei eher selten. Ohne Intervention könne sich Mobbing zudem langfristig negativ auf den Mobbenden auswirken, da dieser auch später versuche, seine Ziele mit Gewalt zu erreichen. „Längsschnittstudien bis ins Erwachsenenalter hinein haben gezeigt, dass diese Schüler ein hohes Risiko haben, beispielsweise delinquent zu werden.“

Anonyme Beratung für Betroffene

Rechtzeitiges Eingreifen sei für alle Beteiligten wichtig, doch Mitwisser fürchteten als Petze zu gelten und schwiegen daher häufig, wie auch die Betroffenen, denen es peinlich sei zuzugeben, gemobbt zu werden, so Scheithauer. Mit dem Ziel, von Cybermobbing Betroffene trotzdem zu unterstützen, bietet der Verein Juuuport eine kostenlose, anonyme Online-Beratung an. Dabei können sich Schülerinnen und Schüler über ein Online-Formular mit ihren Fragen und Problemen rund um das Internet an jugendliche Berater wenden. Die Juuuport-Scouts sind zwischen 15 und 21 Jahre alt und für diese Aufgabe speziell von Experten aus den Bereichen Recht, Internet und Psychologie geschult. „80 Prozent der Anfragen, die uns erreichen, beschäftigen sich mit Cybermobbing“, sagt Juuuport-Scout Julia Liebe (18). In ihren Antworten informieren die Scouts über die Rechtslage und bieten emotionale Unterstützung: „Wir selbst können die Betroffenen ja nicht an die Hand nehmen, daher versuchen wir, ihnen vor allem Mut zuzusprechen, sich jemand anderem gegenüber zu öffnen, etwa dem Schulsozialarbeiter oder Vertrauenslehrer.“

Die drei Experten sind sich einig, dass es durchaus Aufgabe von Schule ist, sich gegen Cybermobbing einzusetzen. „Schüler verbringen viel Zeit in der Schule. Lehrer haben dadurch die Möglichkeit, Veränderungen in ihrem Sozialverhalten zu erkennen und darauf zu reagieren“, sagt Professor Scheithauer. Im Verdachtsfall raten die Experten Lehrkräften einstimmig, dem betroffenen Schüler Gesprächsbereitschaft zu signalisieren, ohne das Thema direkt anzusprechen. „Das verschreckt den Schüler höchstens“, warnt Julia Liebe. Sie mahnt: Öffne sich ein Betroffener gegenüber einer Lehrkraft, sollte diese ihm unbedingt vorwurfsfrei begegnen. „Es hilft nicht zu sagen: Du hättest das Foto erst gar nicht veröffentlichen sollen.“ Besser sei es, Unterstützung zuzusichern. Diplom-Pädagoge Felling empfiehlt Schulen, sich für solche Fälle auf einen Interventionsansatz zu einigen: „Damit die Lehrer wissen, wie sie vorgehen sollen und welchen Lösungsweg sie aufzeigen können.“ Mit einer Erfolgsquote von über 90 Prozent habe sich beispielsweise der „No Blame Approach“ als besonders wirksam erwiesen.

Wichtig: umfassende Präventionsarbeit

Eine Interventionsstrategie sollte jedoch immer nur ein Bestandteil einer umfassenden pädagogischen Präventionsarbeit sein, betont Felling. Diese sollte drei Kernziele verfolgen:

  • Förderung von Medienkompetenz, wobei die Schüler auch die rechtlich relevanten Aspekte des Cybermobbings kennenlernen sollten, 
  • Förderung der Sozialkompetenz, um unter anderem die Empathiefähigkeit zu stärken, und 
  • Aufbau von Hilfsstrukturen, um Kindern und Jugendlichen Orientierung zu bieten, wie sie sich im Netz verhalten sollten und an wen sie sich im Notfall wenden können.

Bei der Wahl des Präventionsansatzes sollten sich Schulen laut Professor Scheithauer vor allem danach richten, ob Studien die Wirksamkeit wissenschaftlich bestätigt haben. „Sonst besteht die Gefahr, dass ein Programm nicht wirkt oder sogar das Gegenteil von dem bewirkt, das es zu erreichen sucht.“ Ein ungenügendes Training der Sozialkompetenz könne zum Beispiel bewirken, dass ein Mobber lediglich lernt, sein unsoziales Verhalten besser zu kaschieren. Gleiches gelte für Interventionsstrategien. Auskunft über die Wirksamkeit von Präventionsprogrammen bietet online etwa die „Grüne Liste Prävention“. Basierend auf nachvollziehbaren Kriterien teilt sie Präventionsansätze in drei Kategorien ein:

  • Stufe 1: „Effektivität theoretisch gut begründet“,
  • Stufe 2: „Effektivität wahrscheinlich“,
  • Stufe 3: „Effektivität nachgewiesen“.

Felling und Scheithauer sind sich einig, dass nachhaltige schulische Prävention gegen Mobbing – ob analog oder digital – immer die gesamte Klasse einbeziehen sollte. Schließlich handele es sich um ein Gruppenphänomen, für das auch das Verhalten der anderen Beteiligten, der Unterstützer und Mitwisser, ausschlaggebend sei. Ein solches Vorgehen brauche jedoch Zeit. „Es reicht nicht, ein Projekt durchzuführen und dann ist alles gut“, sagt Diplom-Pädagoge Felling. Professor Scheithauer fordert daher, Schulen entsprechend auszustatten: „An Schulen muss Raum sein für Präventionsarbeit – nicht nur in finanzieller Sicht, sondern auch zeitlich in Form von Anrechnungsstunden.“

(ach)