Von jetzt auf gleich mussten Lehrkräfte aufgrund der Schulschließungen auf Fernunterricht umstellen – großteils, ohne über die notwendige digitale Ausstattung sowie die erforderlichen Kompetenzen zu verfügen und häufig mit nur begrenzter Unterstützung des Dienstherrn. Das hatte Folgen, vor allem für den Datenschutz.
Mitte März waren auf einmal alle Schulen in Deutschland dicht. Wegen des Coronavirus sollte der Unterricht vorläufig von zu Hause aus weiterlaufen. Die Lehrkräfte sollten dafür ihre Schülerinnen und Schüler über die Distanz mit Arbeitsaufträgen versorgen. Vielfach fehlten ihnen jedoch nicht nur die technischen Voraussetzungen, sondern auch die fachliche Qualifikation, dies digital und datenschutzkonform umzusetzen. Weder die dafür benötigten Dienstrechner noch entsprechende Online-Lernmanagementsysteme standen allen Lehrkräften zur Verfügung – oftmals ist das auch weiterhin nicht der Fall. Dabei existiert mittlerweile eine breite Systemvielfalt (mehr dazu hier hinter der Bezahlschranke). Zu den meistbenutzten Online-Lernplattformen gehören Moodle, IServ, Schul.Cloud, itslearning und Webweaver.
Doch selbst diejenigen, die zumindest auf eine vom Land bereitgestellte Lernplattform zugreifen konnten, mussten zum Teil wie beispielsweise in Baden-Württemberg feststellen, dass diese der gestiegenen Auslastung nicht immer gewachsen war. Und während viele Firmen Lehrkräften den Zugriff auf ihre digitalen Angebote etwa für Videokonferenzen und Dateiaustausch zeitlich begrenzt, aber sehr schnell und kostenlos ermöglichten, ließ die Unterstützung einiger Kultusministerien auf sich warten.
Eigenständige Lösungssuche
Lehrende, die sich auch in den ersten Wochen nicht darauf beschränken wollten, Aufgaben per Post oder per E-Mail zu verteilen, fanden somit eigenständig kurzfristige Lösungen, um mit ihren Schülerinnen und Schülern digital in Kontakt zu treten. Einige nutzten dafür den Messenger WhatsApp, andere die Videokonferenzdienste Zoom oder Skype. Die Datenschutzbeauftragten der Bundesländer kritisierten dies. Vor WhatsApp warnen sie schon lange. Der Messenger agiert nicht datenschutzkonform, da er unter anderem bei der Anmeldung alle Kontaktdaten, die im Telefon des Nutzers gespeichert sind, an den Anbieter überträgt. Die Personen, zu denen die Nummern gehören, können in die Datenweitergabe jedoch weder einwilligen noch ihr widersprechen. Bei den Videokonferenzdiensten sei ebenfalls nicht auszuschließen, dass diese mehr Daten erheben, als für die Nutzung des Dienstes benötigt werden, und sie über den eigentlichen Zweck hinaus weiterverwenden.
Die Kritik der Datenschutzbeauftragten legte frühzeitig die Vermutung nahe, dass Lehrkräfte auf einfach zugängliche und spezifische Informationen ihres Dienstherrn angewiesen waren, welche digitalen Kommunikationskanäle und Lernangebote sie nutzen dürfen, um dem Datenschutz zu genügen. Diese lagen jedoch zu Beginn des Fernunterrichts in vielen Fällen nicht vor. Einige Kultusministerien lieferten entsprechende Übersichten nachträglich. Schleswig-Holstein reagierte zum Beispiel recht schnell: Das dortige Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen veröffentlichte eine solche Liste bereits Ende März auf ihrer Internetseite. Noch etwas früher präsentierte das Bildungsministerium von Mecklenburg-Vorpommern seinen Lehrkräften Links zu Online-Unterrichtsmaterialien, -Werkzeugen, -Plattformen und -Fortbildungen. Den Verweis auf vorläufig kostenfreie Angebote von gewinnorientierten Unternehmen ergänzte es allerdings mit der Mahnung, bei der Nutzung auf den Datenschutz zu achten. Die Entscheidung darüber lag somit wieder bei den Lehrkräften.
Reaktionen der Datenschutzbeauftragten
In Thüringen und Brandenburg geht nun jeweils die Landesdatenschutzbehörde Hinweisen aus der Bevölkerung nach, dass Schulen oder einzelne Lehrkräfte im Zuge des Fernunterrichts gegen den Datenschutz verstoßen haben sollen. Lutz Hasse, Landesdatenschutzbeauftragter Thüringens, drohte sogar mit Bußgeldern von bis zu 1.000 Euro. Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) sicherte den betroffenen Lehrkräften des Freistaats zumindest nachträglich Unterstützung zu, ebenso wie seine Amtskollegin Britta Ernst (SPD), Bildungsministerin in Brandenburg, den Lehrenden ihres Landes.
Einen pragmatischen Ansatz wählte die Landesbeauftragte für den Datenschutz in Niedersachsen, Barbara Thiel. Nachdem das Kultusministerium seinen Lehrkräften im April gestattet hatte, Messenger und Clouddienste unter gewissen Bedingungen zu nutzen, und dabei beispielhaft WhatsApp und Skype erwähnt hatte, reagierte Thiel am 20. April mit einer Pressemitteilung. Darin erklärte die Landesdatenschutzbeauftragte zwar, „dass sie den Einsatz von WhatsApp an Schulen weder empfohlen noch genehmigt hat“, berücksichtigte jedoch auch die gegebenen Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte. Angesichts der Corona-Pandemie und dem damit erhöhten Bedarf an digitaler Kommunikation an Schulen erklärte sie sich bereit, „gewisse Bedenken im Einzelfall für einen eng begrenzten Zeitraum zurückzustellen“.
Die tatsächlichen Arbeitsbedingungen im Blick
„In meiner Behörde mussten wir uns der Frage stellen: Wie gehen wir damit um, dass den Lehrkräften eine datenschutzkonforme Infrastruktur fehlt?“, erläutert Thiel rückblickend. Denn die vom Kultusministerium geplante landesweite Bildungscloud – laut Thiel „eine unerlässliche Voraussetzung, um Schule datenschutzkonform zu digitalisieren“ – stand noch nicht bereit. Zudem hatte es das Land verpasst, trotz mehrfach geäußerter Bedenken seitens der Landesdatenschutzbeauftragten, nach einer datensparsameren Alternative zu WhatsApp unter den existierenden Messenger-Diensten auf dem Markt zu suchen. „Wir mussten zwischen datenschutzrechtlichen Anforderungen und den akuten Bedürfnissen abwägen“, so Thiel. „Mit großen Bauchschmerzen haben wir dann auch nichtdatenschutzkonforme Möglichkeiten zugelassen.“
Die Datenschutzbeauftragte hätte sich gewünscht, dass Niedersachsen die Bildungscloud schon viel früher eingeführt hätte. „Es hat sich deutlich gerächt, dass das Land nicht soweit war“, sagt Thiel. Corona habe eindrucksvoll gezeigt, dass die Gesellschaft vom Funktionieren digitaler Infrastruktur abhänge. „Das gilt für das Arbeits-, Schul- und Universitätsleben gleichermaßen.“
Nicht ohne persönliches Engagement
Fehlende Unterstützung vom Land im Zuge der Digitalisierung beklagt ganz grundsätzlich auch Frank Poetzsch-Heffter, stellvertretender Schulleiter und IT-Koordinator am Katharineum zu Lübeck, einem Gymnasium in Schleswig-Holstein. Seit rund 20 Jahren bemüht er sich mit seinem Kollegium eigenständig um die digitale Schulentwicklung, denn ohne persönliches Engagement geht es nicht. Die vom Land und Schulträger gestellten Ressourcen reichen nicht aus. Es fehlt an Personal, Fortbildungen und den notwendigen Geldern.
Die bisherigen Schulleitungen des Katharineums organisierten deshalb mithilfe von Fundraising-Aktionen und mit Unterstützung von Stiftungen die zusätzlich benötigten finanziellen Mittel, während sich Freiwillige aus dem Kollegium um die praktischen Entwicklungsschritte und die zugehörige Weiterbildung des Kollegiums kümmerten. „Ich habe das große Glück, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die nicht so auf die Zeit gucken und viel zusätzlich zur normalen Arbeitszeit machen und es eher als Hobby auffassen“, so der stellvertretende Schulleiter.
Entsprechend gut war das Kollegium des Katharineums ausgestattet, als es in den Fernunterricht wechseln musste – eins von wenigen in Deutschland. Kein Wunder, nicht alle Lehrkräfte wollen und können die Digitalisierung ihrer Schule selbstständig stemmen. So ist sie einigen ausgesuchten vorbehalten; verbunden mit dem Risiko, dass externe Geldgeber die Öffnung der Schule für eigene Zwecke ausnutzen könnten. Davor warnen die Verbraucherzentralen und der Verbraucherzentrale Bundesverband in ihrem Positionspapier „Keine Werbung in der Schule“.
Digitaler Fernunterricht
Das große Engagement der Lehrkräfte am Katharineum ermöglichte es ihnen, während der Schulschließungen über die schulischen E-Mail-Adressen der Kinder und Jugendlichen ohne Umstände den Kontakt zu ihnen zu halten. Die Lernplattform Ilias und die Software Nextcloud – beides Open-Source-Anwendungen – bildeten die Grundlage, um Arbeitsmaterialien auszutauschen. Der zu Nextcloud gehörende Messenger machte WhatsApp überflüssig. Die mit den Anwendungen verbundenen Fragen des Datenschutzes waren schon längst geklärt: Wie bei schulischen Einzellösungen vorgesehen hatte Frank Poetzsch-Heffter mit den Betreibern der außerschulischen Server entsprechende Verträge abgeschlossen und diese beim Land eingereicht.
Während der Schulschließungen erweiterte Poetzsch-Heffter mit Unterstützung des Fachbereichs Informatik der Universität zu Lübeck das digitale Schulangebot kurzfristig um die Videoplattform BigBlueButton, ebenfalls ein Open-Source-Programm, das sich mit den anderen Systemen verbinden lässt. „Ich kann in Ilias mein BigBlueButton aufrufen und aus dem Kurs heraus, der in Ilias eingerichtet ist, die Kinder in eine gemeinsame Videokonferenz schicken – wie ein virtueller Klassenraum. Das finde ich sehr vorteilhaft.“
Die Vorteile von Open-Source-Programmen
Bei allen Software-Lösungen ist es Poetzsch-Heffter wichtig, dass es sich um Open-Source-Software handelt. „Im Gegensatz zu proprietären Lösungen von Unternehmen wie etwa Microsoft ist bei Open-Source-Programmen der Quelltext öffentlich. Da hat man den großen Vorteil, dass jeder reingucken kann, auch nach Fehlern suchen kann. Und wenn Fehler gefunden werden, gibt es eine Community, die sie sehr schnell beheben kann.“ Weitere Vorteile, so Poetzsch-Heffter: Seine Schülerinnen und Schüler können sich bei Interesse mit dem Quelltext auseinandersetzen und lernen, wie die Software funktioniert. Außerdem fallen keine Lizenzkosten an. Das heißt: „Ich habe die Möglichkeit, die Software frei zu verteilen. Wir können die Programme in der Schule und zu Hause nutzen, das ist gar kein Problem, das ist legal.“
Open-Source-Lösungen befürwortet auch Datenschützerin Barbara Thiel. „Aus Wettbewerbsgründen sprechen meine Behörde und ich in der Regel keine Empfehlungen aus. Open Source-Software stehen wir aber aufgrund der mit ihr verbundenen großen Transparenz grundsätzlich positiv gegenüber.“ Konkrete Produkte müssten natürlich einzeln geprüft werden.
Fortbildungen gegen Wissenslücken
Sowohl Thiel als auch Poetzsch-Heffter mahnen allerdings, dass nicht nur mit Blick auf die schulische Ausstattung Nachholbedarf bestehe, sondern auch Fortbildungen für Lehrkräfte notwendig seien – auch zum Thema Datenschutz, betont Thiel. „Es existiert eine digitale Sorglosigkeit“, so die Datenschützerin. „Die meisten Menschen machen sich keine Gedanken, wie ihre Daten genutzt werden könnten und mit welchen Folgen.“ Beide wünschen sich bei der Digitalisierung und den damit verbundenen Datenschutzfragen mehr Unterstützung vom Schulträger oder Land. Poetzsch-Heffter: „Eine zentrale Organisation würde vieles erleichtern.“ ach