Es waren intensive und kontroverse Diskussionen, die am 6. November 2017 in Berlin geführt wurden – in den Werkstätten, in der Fishbowl-Diskussion und zwischendurch beim Kaffee. Wie lässt sich Qualität im Bereich der digitalen Bildung langfristig sicherstellen? Was brauchen Lehrkräfte konkret zur Orientierung? Auf eines konnten sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Werkstatt #digitaleBildung schnell einigen: Eine Qualitätsprüfung, wie sie der Materialkompass des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) bisher anbietet, sollte es auch in Zukunft geben!
„Für uns ist es heute eine Veranstaltung mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, sagte Sabine Fiedler, Leiterin des Geschäftsbereichs Kommunikation des vzbv, zum Abschluss der Werkstatt „Digitale Bildung: Orientierung bieten, Qualität sichern – aber wie?“. Ein lachendes Auge, weil „wir natürlich begeistert sind von der Teilnahme und dem Engagement, mit dem heute diskutiert wurde“, so Sabine Fiedler. Ein weinendes Auge, weil es auch eine Art Abschlussveranstaltung war: Trotz viel Lob wird der Materialkompass ab 2018 nicht weiter finanziert.
Seit fast zwei Jahren prüft das Projekt „Lehrkräfteportal Digitale Kompetenzen“ des vzbv mit den Kriterien des Materialkompasses die Qualität von Bildungsangeboten im Bereich der digitalen Bildung. Einen Rückblick auf die Arbeit gab Projektleiterin Bettina Busse (vzbv) zu Beginn der Veranstaltung. Insgesamt wurden 120 Materialien aus dem Themenbereich „Medien und Information“ anhand fachlicher, didaktischer und gestalterischer Kriterien untersucht und Bewertungen ausgesprochen. „Qualitätsprüfung muss dabei nicht Zensur und Einschränkung bedeuten“, so Bettina Busse, „sondern sie kann eine Chance sein, das Niveau der Angebote insgesamt zu heben.“ Und sie machte deutlich: „Der Wunsch nach Orientierung ist groß!“
Wie eine Online-Umfrage im Rahmen des Projekts zeigte, nutzen Lehrkräfte freie Materialien mehrmals die Woche. 90 Prozent der Lehrkräfte sagten, dass für sie solche Zusatzangebote im Unterricht mindestens die gleiche Relevanz haben wie herkömmliche Schulbücher. Gleichzeitig zeigt eine repräsentative Befragung des vzbv: Lehrkräfte haben in der Regel keine Zeit, diese externen Materialien auf ihre Qualität hin zu prüfen. Deshalb hat sich der vzbv das Ziel gesetzt, Lehrkräfte mit Hilfe des Materialkompasses bei dieser Aufgabe zu unterstützen.
Wie wichtig Orientierung für Lehrkräfte im Schulalltag ist, machte auch Martina Schmerr deutlich: „Schulen werden zunehmend zum Spielfeld wirtschaftlicher Interessen. Durch die digitale Bildung sehen wir hier sogar noch eine Zuspitzung des Problems, da die Zahl der unternehmensfinanzierten Angebote und Materialien steigt.“ Die Referentin für den Organisationsbereich Schule bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) war eine von drei Impulsgeberinnen. Weitere Vorträge hielten Dr. Bettina Waffner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Mediendidaktik und Wissensmanagement an der Universität Duisburg-Essen sowie Stephanie Grundmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Berufliche Bildung und Arbeitslehre der Technischen Universität Berlin.
Im Anschluss diskutierten die Impulsgeberinnen mit den Teilnehmenden in drei parallel stattfindenden Themen-Werkstätten über die Fragen: Was bedeutet Qualität, wie lässt sie sich erreichen und sichern? Welche Rolle spielen dabei Angebote wie der Materialkompass? Welche Anforderungen haben Lehrkräfte, und wie stehen Anbieter zur Qualitätsprüfung?
Auf einige konkrete Kriterien für gute digitale Unterrichtsangebote konnten sich alle Teilnehmenden einigen: Transparenz, Unabhängigkeit, Multiperspektivität. Auch herrschte Einigkeit, dass ein Angebot wie der Materialkompass für die Qualitätssicherung sehr wertvoll ist und erhalten bleiben sollte – oder sogar weiterentwickelt werden. Einige Teilnehmer wünschten sich explizit ein Bewertungsinstrument wie den Materialkompass, allerdings mit einer Kommentarfunktion, so dass auch Lehrkräfte ihre Erfahrungen mit einbringen können. Andere sprachen sich für die Ausweitung des Materialkompasses auf weitere Themenfelder aus oder wünschten sich, dass auch Open Educational Resources (OER) dort bewertet würden.
Weiter auseinander gingen die Meinungen bei Themen wie Bring Your Own Device (BYOD), dem Einsatz verschiedener Betriebssysteme in einer Schule sowie die Zusammenarbeit mit externen Partnern. Diese Meinungsverschiedenheiten wurden auf Dissenskarten festgehalten, gemeinsame Vorstellungen auf Konsenskarten – sie bildeten die Grundlage für die folgende Fishbowl-Diskussion.
Vier Experten hatte der vzbv für die Fishbowl-Diskussion eingeladen: Martina Grosty, Lehrerfortbilderin für Blended Learning und E-Teacher, Dr. Vera Fricke, Leiterin der Stabstelle Verbraucherbildung beim vzbv, Tim Schmalfeldt, Referent für den Fachbereich Multimedia bei der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und Dr. Niels Brüggen, Leiter der Abteilung Forschung beim JFF - Institut für Medienpädagogik. Außerdem waren noch zwei Stühle für Teilnehmer aus dem Publikum frei, die sich jederzeit dazusetzen und an der Diskussion beteiligen konnten.
In den verschiedenen Statements wurde deutlich, mit welchen Unsicherheiten Lehrkräfte gerade zu kämpfen haben und wie wenig Zeit ihnen im Alltag bleibt, um geeignetes Material zu suchen und zu bewerten. Deshalb wünschen sich viele von ihnen eine Art Qualitätssiegel, um eine bessere Vorauswahl treffen zu können. Denn grundsätzlich lehnen die Schulen externe Materialien nicht ab, doch viele haben Angst vor Lobbyismus im Klassenzimmer. „Unsere Studie zu Bildungspartnerschaften zeigt, dass Schulen ein großes Interesse an der Zusammenarbeit mit externen Partnern haben. Wichtig ist ihnen aber, dass kein Eigeninteresse und keine Werbung in die Schule getragen werden“, berichtete beispielsweise Niels Brüggen von seiner Forschung.
„Mich hat heute besonders gefreut, dass es uns gelungen ist, viele Beteiligte an einen Tisch zusammen zu bringen: Wir hatten Anbieter und Nutzer dabei, Lehrkräfte, Lehrkräftefortbilder, Bildungsinstitutionen, Medienpädagogen, Wissenschaftler und Verbraucherzentralen“ zog Bettina Busse vom vzbv am Ende ihr Fazit. Ihr liegt viel daran, nun die verschiedenen Ideen und das Feedback für eine weitere Evaluation mitzunehmen. „Wir wollen weiterarbeiten am Materialkompass. Denn: Der Materialkompass kann ganz viel, der Materialkompass wird auf jeden Fall gebraucht und er lässt sich an vielen Stellen noch weiterentwickeln, zu einem Materialkompass 4.0", so Bettina Busse zum Abschluss der Werkstatt.
Was die Veranstaltung darüber hinaus gezeigt hat: Das Engagement, auch in Zukunft über Qualitätssicherung zu diskutieren und die verschiedene Ansätze in die Schulen zu tragen, ist nicht nur beim vzbv sehr hoch.