Datum: 21.06.2024

Good Practice: Eine Schülerfirma wird Unterrichtsfach

Wir stellen regelmäßig vor, wie Schulen aus dem Netzwerk Verbraucherbildung diese im Schulalltag umsetzen. Nachmachen erlaubt.

v.l. Noel FLadenleitung, Steffen Leibold Mitarbeiter Bildungsministerium NRW, Fatoumata FLadenmitglied.png

Quelle: Matthias Flüß

Wer hätte das vor sechs Jahren wohl gedacht? Als Schüler:innen der Gesamtschule Recklinghausen Suderwich 2018 mit der Idee „hausieren“ gingen, eine Schülerfirma zu gründen, ahnte niemand, welche Entwicklung diese nehmen würde. Aus dem „FLaden“ (Fairer Laden), der ursprünglich seine Waren mittags auf einem Tapeziertisch angeboten hatte, entstand das namensgleiche Wahlpflichtfach für die Neunt- und Zehntklässler. Fachübergreifend trägt es inzwischen zur ausgeprägten Verbraucherbildung bei. 

Im Überblick

  • Thema: Instagram-Account der Maßnahme „FLaden“
  • Handlungsfelder: Medien, Finanzen, Nachhaltigkeit
  • Klassenstufe: 9. – 10. Klasse
  • Lebensweltbezug: Medienkunde, Konsum
  • Umfang/Dauer: zwei Stunden wöchentlich über zwei Schuljahre
  • Methoden: demokratisches Handeln, handlungsorientierter Fachunterricht

Herangehensweise und Umsetzung

An den Auftakt der Schülerfirma erinnert sich Matthias Flüß bestens. Der Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften koordiniert „FLaden“. Das Interesse und die Menge an Ideen sei so groß gewesen, dass für den ersten Gedankenaustausch ein Klassenzimmer nicht ausreichend Platz geboten hätte. Man zog in die Aula der Gesamtschule Recklinghausen Suderwich um. Themen: Was kann unsere Schülerfirma leisten – wie kann solch ein Laden funktionieren? Die Initiator:innen beschlossen, dem Bedarf auf den Grund zu gehen. Die Kunden fest im Blick starteten sie eine Umfrage unter allen Lernenden: „Welche Produkte würdet Ihr kaufen und wieviel dafür bezahlen?“

Die Antworten flossen in den Geschäftsplan ein. „Die Schüler:innen entscheiden alles demokratisch und gemeinsam“, hebt Flüß eine wesentlichen Idee des „FLaden“ hervor. Das führt nicht immer zu dem von ihm erhofften Ergebnis. So etwa, als sich die Mehrheit dafür entschied, auch nur eingeschränkt dem Fair-Trade-Gedanken entsprechende Schokolade ins Produktangebot aufzunehmen. 

Schnell einigte man sich, dass es nicht nur Süßes und Saures geben solle. Praktisch wäre, so schloss man, wenn auch Produkte zum Sortiment gehörten, die im Unterricht benötigt werden – Block, Radiergummi, Stifte. Heute ist der „FLaden“ auch auch in diesem Sortiment bestens bestückt. Alles, was ein Starterpaket der Fünftklässler beinhalten muss, gibt es hier – inklusive Geodreieck aus Maisstärke. Die durch Corona ausgelöste erste Krise bewältigte der „FLaden“ dank eigenen Engagements. Den drohenden roten Zahlen als Folge abgelaufener und nicht mehr verkäuflicher Produkte begegneten sie mit der Idee nach einem Sponsor zu suchen. Mit Erfolg. 

Von Schülerfirma zur Lernwerkstatt

Angesichts der Fülle an Alltagserfahrungen, die der „FLaden“ ermöglicht, entschloss sich die Gesamtschule Recklinghausen-Suderwich, die Schülerfirma im Rahmen ihrer Verbraucherbildung als eine von zahlreichen Lernwerkstätten zu etablieren. Sie erkannten, wie viele Kompetenzen in diesen fest im Unterrichtskanon verankerten Stunden nicht vermittelt, sondern von den Schüler:innen selbst erworben werden. Seien es mathematische, kalkulatorische, kommunikative Fertigkeiten oder auch jene, die erforderlich sind, um mit Social Media verantwortungsvoll und kritisch umzugehen. 

Das hilft, wenn es heißt, den Instagram-Account zu pflegen, der ein werbewirksames Instrument für den „FLaden“ darstellt. Die dafür erforderlichen Inhalte, aber auch Antworten auf jede Form von dort eingehenden Nachrichten, formulieren die Schüler:innen. „Allerdings“, so räumt Matthias Flüß ein, „bevor sie online gehen, wandern sie durch mein wachsames Auge.“ Auch so gelingt Medienbildung. „Wir besprechen, was erlaubt ist und was nicht, worauf man als Nutzer:in von Social Media achten muss“, berichtet Matthias Flüß. Das gilt auch für die „Werbung“ für Produkte, die von den Schüler:innen für den „FLaden“ konzipiert und auf dem digitalen Vertretungsplan der Schule „geschaltet“ wird.

Verbraucherbildung mit Selbstwirksamkeit

In den Unterrichtseinheiten der 9. und 10. Jahrgänge kommt heute weit mehr als die Überlegung, wieviel und was bestellt werden muss, zur Sprache. Führungsaufgaben werden trainiert, wenn jeweils eine Person zeitweise als „Boss“ fungiert, Aufgaben verteilt und die Abrechnung der wöchentlichen Verkaufsstände verantwortet. Einblicke in Buchhaltung werden gewonnen. Natur, Umwelt und Nachhaltigkeit geraten in den Fokus. So entwickelten die Schüler:innen eigenständig ein Pfandsystem, als sie feststellen mussten, dass die Verpackungen beispielsweise der Fair-Trade-Schokolade zu häufig auf dem Schulhof landeten.

Zum Bedauern von Matthias Flüß muss er auch in dieser Lernwerkstatt, die er als optimale Möglichkeit handlungsorientierten Unterrichts einstuft, Noten verteilen. Doch das Positive überwiegt deutlich: „Im ,FLaden` können die Schüler:innen Selbstwirksamkeit spüren, eigene Entscheidungen treffen und zahlreiche Dinge fürs Leben lernen.“ Und manchmal zeigt jemand Stärken, die sonst im Unterricht vielleicht niemand entdeckt hätte. So wie Tristan: Der damals 16Jährige entpuppte sich als wahres Verkaufstalent. Gut möglich, dass ihm das eines Tages richtig hilft. 

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