Hetze, Herabwürdigungen, blanker Hass. In den sozialen Medien hat sich die Stimmung merkbar aufgeheizt. Beleidigungen, Drohungen und Aufrufe zur Gewalt sind längst alltäglich. Beim Löschen der Hasstiraden reagieren die Netzwerke indes sehr träge, wenn überhaupt. Vieles wird gar nicht erst gemeldet oder zur Anzeige gebracht. Doch langsam wächst der Widerstand gegen den Hass im Netz.
Zeit wird’s. Denn strafbare Hassbotschaften gibt es jeden Tag mehr in der virtuellen Welt. Ihre Chancen, dort ein langes Leben zu fristen, stehen gut. Gelöscht werden sie erst nach Meldung, und selbst dann längst nicht immer, wie jüngst ein Test von jugendschutz.net ans Licht brachte. Von über 600 strafbaren Beiträgen, die die Jugendschützer an Facebook, Google und Twitter meldeten, wurden nur Bruchteile von den Unternehmen gelöscht: Beim Google-Dienst YouTube war es eine von zehn Meldungen, bei Twitter eine von hundert, bei Facebook jede zweite.
„Es wird zu wenig und zu langsam gelöscht“
Das einst von den Konzernen gegebene Versprechen, gemeldete rechtswidrige Hassbotschaften binnen 24 Stunden zu entfernen, löst den Jugendschützern zufolge noch kein Dienst ein. „Insgesamt“, sagt Bundesjustizminister Heiko Maas, würden sie „noch immer zu wenig und zu langsam gelöscht“. Zahlen dazu, wie viele Beleidigungen oder Bedrohungen, Volksverhetzungen oder rassistische Parolen angezeigt, verfolgt und aufgeklärt werden, gibt es nicht. Das größte Problem liegt laut Maas darin, „dass Beschwerden der Nutzerinnen und Nutzer von den Plattformen nicht ernstgenommen werden“.
Viele Nutzer sozialer Medien machen sich wohl auch deshalb gar nicht erst die Mühe, Beleidigungen gegen sich oder Hassbotschaften an andere anzuzeigen. Dabei steht der Rechtsweg offen. Wer von „Hate Speech“ betroffen ist, kann bei der Polizei oder bei der Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige erstatten, in den meisten Bundesländern sogar online. Bei strafrechtlich relevanten Kommentaren, Bedrohungen beispielsweise, besteht ein Anspruch auf Löschung. Bei schwerwiegenden Verletzungen des Persönlichkeitsrechts kann Betroffenen sogar eine Entschädigung oder Schmerzensgeld zustehen.
Wer den Rechtsweg nicht beschreiten will und sich von der Meldung rechtswidriger Beiträge wenig erhofft, dem bleiben andere Wege, um gegen Hasskommentare und Beleidigungen vorzugehen. Dagegenzuhalten, zum Beispiel. Und dafür gibt es im Netz inzwischen Hilfestellung. Etwa von der Amadeu Antonio Stiftung oder der Landesmedienanstalt Nordhein-Westfalen, die beide Leitfäden für den Umgang mit Hass im Internet erarbeitetet haben und sich damit auch an Lehrkräfte und Eltern wenden.
Keine „goldene Regel“ – aber viele Möglichkeiten
Nur: Die eine „goldene Regel“ gegen den Hass im Netz können auch sie nicht bieten. Die Amadeu Antonio Stiftung listet zwar verschiedene Strategien auf, weiß aber auch um deren Schwächen. Wer Hassprediger im Netz ignoriere, nehme ihnen zwar die Aufmerksamkeit – müsse aber in Kauf nehmen, dass ihr Ton die Wortgefechte dominiert. Wer mit ihnen diskutiere, könne den Verlauf von Debatten zwar beeinflussen – brauche aber auch Zeit und Nerven. Und wer ihre Aussagen ironisiere, könne die Absurdität ihrer Beiträge zwar bloßstellen – müsse jedoch mit sich verhärtenden Fronten rechnen.
Also gar nichts tun? Dem Hass das Feld überlassen? Nein, sagt, Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung. Sich zur Wehr zu setzen koste durchaus Kraft, bleibe aber nötig. „Weil es hier um die Kultur der Zukunft geht.“ Die digitalisierte Welt dürfe nicht Hass und Vorurteil überlassen werden. „Sich dagegen klug zu wehren“, so Kahane, „ist der Kulturkampf der Gegenwart“.
Was also tun? Gemeinsam aktiv werden. Den Schulterschluss suchen. Hassredner enttarnen lernen. Sie gemeinsam mit anderen in ihre Schranken verweisen. Und das ist auch Aufgabe der Schule und derer, die sich der Vermittlung von Medienkompetenz widmen. „Medienkompetenz kann nicht ohne Zivilcourage und eine klare Positionierung gegen Hate Speech gedacht werden“, sagt die auf Gewaltprävention und Gesundheitspsychologie spezialisierte Diplom-Psychologin Dorothee Scholz. Tatsächlich folgt eine ganze Reihe medienpädagogischer Programme dieser Maßgabe bereits, in Deutschland und europaweit.
Ideen für die Menschenrechts- und Medienbildung
Beispiele dafür finden sich unter anderem im Online-Handbuch „Bookmarks“, das der Europarat im Zuge seiner „No Hatespeech“-Kampagne erarbeitet hat. Es gibt jungen Menschen Ideen und Anleitungen, wie sie Hassreden entgegentreten können, mittlerweile auch über einen deutschen Kampagnen-Ableger, der von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig unterstützt wird. Wer juristisch gegen Hassreden vorgehen will, findet Hilfestellung in einer Broschüre der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz Nordrhein-Westfalen. Die dortige Landesanstalt für Medien hat zudem Anregungen, Ideen und Strategien gegen den Hass im Netz zusammengetragen, die auch für den Einsatz in der Schule taugen.
Denn der Kampf gegen Hetze, Herabwürdigungen und blanken Hass muss auch dort gefochten werden. Es sei auch Aufgabe der Schule, „der Verrohung der Sprache entgegen zu wirken“, so Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung. Schule stehe hier aber nicht allein in der Pflicht. „Hier sind alle Institutionen und insbesondere alle Personen, die in der Öffentlichkeit stehen und Öffentlichkeit schaffen, gefordert“, sagt Beckmann. Ebenso wie die Unternehmen, die mit ihren sozialen Netzwerken viel Geld verdienen. Sie, sagt Bundesjustiz- und Verbraucherschutzminister Heiko Maas, sollten nicht zulassen, dass ihre „Dienste zur Verbreitung von strafbarem Hass, Rassismus, Antisemitismus oder islamistischen Terrorphantasien missbraucht werden“.