Datum: 12.09.2019

Keine Angst vor finanzieller Bildung

Chancen und Herausforderungen für Schulen

© martaposemuckel - pixabay - CC0

Quelle: © martaposemuckel - pixabay - CC0

Es sind teils erschreckende Antworten, die Jugendliche geben, wenn sie zu ihrer finanziellen Grundbildung befragt werden: „Ich habe von diesem Thema überhaupt keine Ahnung“, „Ich verstehe die meisten Begriffe nicht“ oder „Ich fühle mich überfordert!“. So lauten Aussagen von jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren, die 2018 an einer Online-Erhebung des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) teilgenommen haben. Ein Grund, sich den aktuellen Stand der finanziellen Bildung in Deutschland genauer anzuschauen.

Die Schule, so die allgemeine Auffassung, soll junge Menschen auf das Leben vorbereiten. Im Bereich der finanziellen Bildung scheint das jedoch oftmals nicht zu gelingen, wie Studien immer wieder zeigen. In Berichte und Analysen, die teilweise von Finanzunternehmen beauftragt werden, ist von mangelnden Kenntnissen über den Umgang mit Geld, über Anlagen und gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge die Rede, sogar von einem „finanziellen Analphabetismus“ in weiten Teilen der Bevölkerung.
 

Eine Frage der Chancengerechtigkeit

Verbraucherschützer und Wirtschaftswissenschaftler mahnen zwar, dass immer hinterfragt werden sollte, welche politische Agenda eventuell hinter solchen Urteilen steckt, jedoch können auch sie nicht leugnen, dass offensichtlich Defizite im Bereich der finanziellen Bildung bestehen – vor allem, wenn auch Schülerinnen und Schüler selbst immer wieder auf ihr fehlendes Wissen in diesem Bereich hinweisen. Das bekannteste Beispiel dafür ist wohl die Schülerin Naina, die 2015 in einem Tweet feststellte: „Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ‘ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen.“

Ganz so drastisch würde Birgit Happel es nicht formulieren. Doch als Referentin für Finanzbildung, die regelmäßig an Schulen zu Gast ist, kann sie bestätigen: „Es gibt einfach noch zu viel Unwissen.“ In ihren Workshops beantwortet sie Schülerinnen und Schülern daher immer wieder ganz praktische Fragen zu Online-Shopping, Budget-Planung oder die Vermeidung von Schulden. Und sie stellt immer wieder fest, dass es stark vom Elternhaus abhängt, ob sich Jugendliche finanziell gut auf die Zukunft vorbereitet fühlen und sinnvolle Entscheidungen treffen. „Dadurch verfestigt sich in diesem Bereich Bildungsungerechtigkeit“, stellt Happel mit Sorge fest. Hinzukäme, dass sich das Thema Geld und Finanzen in den letzten Jahrzehnten stark ausdifferenziert habe. „Die alltägliche Finanzplanung ist dadurch sehr viel komplexer geworden“, meint die Referentin.
 

Kompetenzen für kritische Konsumenten

Laut Birgit Weber, Professorin für Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Ökonomische Bildung an der Universität Köln, zeige sich diese neuen Komplexität auch darin, dass junge Erwachsene in der heutigen Welt mehrere Rollen mit unterschiedlichen Anforderungen einnehmen müssten: Sie sind Verbraucher, Kreditnehmer und Geldanleger, Versicherungsnehmer und angehende Arbeitnehmer. Dementsprechend müssten sie in der Schule bestimmte Fähigkeiten und Kenntnisse erwerben, um sich später in einer „wirtschaftlich geprägten Lebenswelt orientieren zu können“, so Weber. Es geht – ganz allgemein gesagt – um die Grundlage für ein gutes, selbstbestimmtes Leben, in dem niemand um eigene finanzielle Entscheidungen herumkommt.

Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat bereits 2008 die Wichtigkeit finanzieller Bildung als Teil der ökonomischen Bildung betont. Sie sei ein „unverzichtbarer Bestandteil der Allgemeinbildung und gehört somit zum Bildungsauftrag der allgemeinbildenden Schulen“, heißt es im entsprechenden Bericht. Fünf Jahre später unterstrich die KMK in ihrem Beschluss „Verbraucherbildung an Schulen“ die Notwendigkeit, „Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang mit Konsumentscheidungen Kompetenzen für eine mittel- und langfristige Finanzplanung mit auf den Weg zu geben“.

Doch wie sieht es mit der schulischen Umsetzung aus? „Was generell nicht passieren darf, ist, dass die Schülerinnen und Schüler nur mit Effizienzdenken und ökonomischem Modellwissen traktiert werden“, macht Birgit Weber deutlich. „Es muss stets darum gehen, junge Erwachsene zu kritischen Konsumenten auszubilden, ökonomische Grundlagen sinnvoll einzubeziehen, aber soziale Fragen nicht außen vor zu lassen.“ Die Forderung nach einem Fach Wirtschaft hält sie dabei für kurzsichtig. Wenn Birgit Weber über finanzielle Bildung spricht, geht es ihr vor allem um Mündigkeit und Aufklärung, die weder dem einzelnen die Verantwortung für seine finanzielle Situation alleine zuschreibt, ihn aber auch nicht aus der Verantwortung für seine finanziellen Entscheidungen entlässt. Auf jeden Fall könne finanzielle Bildung weder von der Verbraucherbildung abgekoppelt werden, sie benötigt wichtige ökonomische Grundlagen und sie darf den sozioökonomischen Hintergrund der Lernenden nicht unberücksichtigt lassen.

Jugendliche sensibilisieren – Lehrkräfte unterstützen

Birgit Happel ist als Finanztrainerin besonders wichtig: „Eine gute finanzielle Bildung braucht immer einen lebensweltlichen Bezug, sonst geht es nur um das Auswendiglernen von Finanzwissen.“ Deshalb lautet ihre Forderung in Richtung Politik und Schule: „Junge Menschen müssen grundsätzlich für die Reichweite ihrer Lebens- und Finanzentscheidungen sensibilisiert werden.“

Das ist jedoch leichter gesagt als getan – was Birgit Happel selbst am besten weiß. Als Referentin hält sie auch regelmäßig Vorlesungen an Hochschulen und gibt Workshops für Lehrerinnen und Lehrer zum Thema finanzielle Grundbildung. Sie stellt fest, dass Lehrkräfte in der Regel vor der Herausforderung stehen, sich in Eigenverantwortung zusätzliche ökonomische Fachkompetenzen anzueignen, während sie zugleich einem unübersichtlichen Angebot kostenloser Unterrichtmaterialien gegenüberstehen. „Sie fragen häufig nach Informationsmaterial und einer Einordnung der vorhandenen Materialien“, erzählt Happel. Vor allem mit Blick auf die zunehmende Bedeutung von Online-Finanzbildung seien Lehrkräfte zudem für jede Hilfe dankbar, um die bestehenden Angebote kritisch zu hinterfragen – etwas, wofür im Schulalltag und wachsenden Stundenplänen häufig die Zeit fehlt.
 

Tipps für die Praxis

Für Lehrkräfte kann es hilfreich sein, erst einmal im Kleinen anzufangen, praxisnahe Projekte umzusetzen und sich Unterstützung von außen zu holen. Ein beliebter Ansatz ist vor allem die Gründung von Schülerfirmen, die laut KMK zur „Vermittlung wirtschaftlicher Grundkenntnisse“ beitragen und Schülerinnen und Schüler in die Arbeits- und Berufswelt einführen sollen. Wie Schülerfirmen funktionieren und worauf zu achten ist, damit sie im Einklang mit dem Bildungsauftrag stehen, schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung in einem Artikel zum Thema Schülerfirmen. Die Autoren warnen darin auch vor dem Einfluss von Unternehmen, der stets reflektiert werden sollte, wenn in diesem Zusammenhang mit Unternehmen aus der freien Wirtschaft zusammengearbeitet werden sollte.

Schulen können zudem auf die institutionalisierte Zusammenarbeit und den regelmäßigen Austausch mit außerschulischen Partnern setzen (siehe Linksammlung unten), wie Stiftungen, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, Banken- und Unternehmensvertretern, Schuldnerberatern sowie Verbraucherschützern. Insgesamt sollte darauf geachtet werden, dass im Sinne des Tandem-Prinzips den Schülerinnen und Schülern immer verschiedene Perspektiven angeboten werden, damit sie sich selbst eine ausgewogene Meinung bilden können. Dafür setzt sich auch die Stiftung Warentest mit dem Bildungsangebot „Finanztest Schule“ ein. So kann die finanzielle Bildung als Bestandteil in unterschiedlichen Fächern praxisnah ausgebaut werden. (lmi)

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