Wie können Lehrkräfte Kindern und Jugendlichen gesundes, klimafreundliches Essverhalten schmackhaft machen und Ernährungsbildung im Unterricht verankern? Eine einfach umzusetzende und anschauliche Möglichkeit sind sogenannte SinnExperimente.
Ernährungsbildung hat es im Schulalltag neben Mathe, Deutsch und Englisch nicht immer leicht. Schließlich ist sie in der Regel nicht einem einzelnen Fach zuzuordnen. Andererseits eignet sie sich aber als Querschnittsthema hervorragend für den fächerübergreifenden oder projektorientierten Unterricht, erklärt Dr. Barbara Kaiser, Referatsleiterin für Ernährungsbildung beim Bundeszentrum für Ernährung (BZfE). Wie es gelingen kann, Schüler:innen für klimabewusstes, gesundheitsförderliches Essverhalten zu interessieren, vermittelt das BZfE in diversen Unterrichtsmaterialien, die der Materialkompass mit sehr gut oder gut bewertet hat. Und auch Online-Fortbildungen des Netzwerks Verbraucherschule in Kooperation mit dem BZfE widmen sich jetzt dem Thema.
Die nächste Online-Fortbildung für Lehrkräfte zusammen mit dem BzfE findet am 3. November 2021 statt, zum Thema nachhaltiger Einkauf.
Die Bandbreite der Ernährungsbildung ist groß: vom Kennenlernen der Ernährungspyramide im Sachunterricht an Grundschulen bis hin zu komplexeren Themen wie Nachhaltigkeit entlang von Lebensmittel-Wertschöpfungsketten an weiterführenden Schulen. „Neben der Wissensvermittlung ist es aber unverzichtbar, Kindern und Jugendlichen auch einen sinnlichen Zugang zum Thema Essen zu ermöglichen und ihren Erfahrungsschatz im Umgang mit Nahrungsmitteln zu erweitern“, sagt Barbara Kaiser. „Denn um Lebensmittel wertschätzen zu lernen und informierte und reflektierte Entscheidungen als Verbraucher:innen treffen können, sollten sie zunächst einmal die Vielfalt von Lebensmitteln erleben und auch den eigenen Geschmack kennenlernen“, so die Oecotrophologin weiter.
Solche sogenannten „SinnExperimente“ lassen sich immer wieder und in allen Altersgruppen in den Schulalltag integrieren. Dabei geht es vor allem ums Probieren, Experimentieren und letztlich um die individuelle Frage: Wie schmeckt es mir? Beispiele, wie Lehrkräfte solche Sinnesschulungen in den Unterricht einbauen können, zeigte kürzlich das Modul „Essen mit allen Sinnen“ im Rahmen der Online-Fortbildungsreihe des Netzwerks Verbraucherschule.
Dabei lernten die Teilnehmerinnen die Methode SinnExperimente genauer kennen: Um die Schülerinnen und Schüler für den bewussten Umgang mit Nahrungsmitteln zu sensibilisieren, bekommen sie zunächst Aufgaben, bei denen sie ihre fünf Sinne einsetzen müssen. Sie sollen präzise beschreiben, was sie sehen, riechen, hören, schmecken und fühlen. Wie schmeckt das Schulbrot mit zugehaltener Nase? Kann ich den Unterschied zwischen zwei Apfelsorten rein am Geschmack erkennen und wie hört es sich an, wenn ich in den Apfel beiße? Wie unterscheidet sich eine reife von einer sehr reifen Banane? So lassen sich zahlreiche weitere Fragen stellen, die eine Auseinandersetzung mit dem Nahrungsmittel in Gang bringen.
Nach und nach entdecken die Kinder und Jugendlichen neue Geschmackswelten, entwickeln ein Bewusstsein für Sorten-, Arten- und auch kulturelle Vielfalt und lernen mit Genuss und in Ruhe zu essen. Ein großer Vorteil: Wer sich vielfältig ernährt, sorgt damit zugleich für eine gesunde Nährstoffzufuhr. Und wer ein Gespür für typische Eigenschaften und Aromen entwickelt hat, weiß zum Beispiel auch, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum kein Wegwerfdatum ist, und geht verantwortungsvoll mit Lebensmitteln um.
Beispiele für SinnExperimente
- Makellos oder lieber naturbelassen?
Die Schüler:innen untersuchen kleine Äpfel mit kleinen Schönheitsfehlern von Streuobstwiesen. Oder sie vergleichen im SinnExperiment Tomaten, Möhren oder andere „krumme Dinger“, die im Aussehen nicht der Norm entsprechen. Welche Sinneseindrücke vermitteln die Früchte?
Weiterführung: Im Klassengespräch auf die Qualitätsklassen eingehen und diese hinterfragen.
- Essen nach Farben
Im Blindversuch schmecken die Schüler:innen, ob und wie sich die Farbe auf den Geschmack auswirkt. Geeignet sind beispielsweise unterschiedlich farbige Paprika, Tomaten, Möhren, Kohlrabi.
- Arten- und Geschmacksvielfalt
Vier Gemüsearten der Saison wählen und in mundgerechte Stücke schneiden. Jedes Gemüse auf einen eigenen Teller legen, mit einer Nummer versehen. Die Schüler:innen kosten blind jede Probe. Wer erkennt das Gemüse am Geruch, Geschmack, der Konsistenz? Anschließend das ganze Gemüse zeigen, damit Schüler:innen wissen, wie es aussieht.
Tipps: Kulturspezifische Gemüsearten aus den Herkunftsländern der Schüler:innen wählen. „Alte“ Gemüsearten zur Verkostung anbieten, z.B. Pastinake, Portulak, Gartenmelde, Teltower Rübchen, Stilmus, Steckrüben.
Bereits kleine Mengen an Nahrungsmitteln oder Getränken reichen aus, um die Experimente durchzuführen. Eine Küche oder besondere Utensilien sind nicht nötig. Obst und Gemüse sind für den Anfang besonders gut geeignet, denn sie sind nicht nur unkompliziert und hygienisch unbedenklich zu verwenden, sondern bilden auch die Basis der Ernährungspyramide. Damit sind sie für die Gesundheit besonders wertvoll.
Aus den Probier-Experimenten entstehen zudem schnell weiterführende Fragen. Welche Inhaltsstoffe sind in einem gekauften Fruchtjoghurt? Wie funktioniert eigentlich die Lebensmittelkennzeichnung und wie werden Lebensmittel hergestellt? Welchen Einfluss haben Farbstoffe auf den Geschmack? Und wie werben Lebensmittelhersteller für ihre Produkte?
Zwar können die Schülerinnen und Schüler im Laufe der SinnExperimente auch erfahren, welche Lebensmittel gesundheitsförderlich sind und weshalb Produkte aus saisonalem, regionalem Anbau besser für Klima und Umwelt sind. Verbote oder Vorschriften sind dennoch nicht angezeigt. „Wir wollen erst einmal neugierig machen und einen Prozess anstoßen“, macht Barbara Kaiser deutlich. „Essen ist Geschmackssache. Es geht nicht um Richtig oder Falsch, sondern darum, Kindern und Jugendlichen, die Möglichkeit zu geben, eigene Erfahrungen zu machen, Alternativen kennenzulernen und dadurch persönliche Vorlieben zu entdecken“, betont sie.
Entscheidend für den Erfolg von SinnExperimenten und anderen ernährungsbezogenen Unterrichtsinhalten sei allerdings, dass die Schule Essen und Trinken als Bildungsbestandteil ganzheitlich verankert und als Instrument für Schulentwicklung in den Blick nimmt. Was im Unterricht gelehrt und gelernt wird, sollte in der ganzen Schule gelebt werden. Besonders deutlich wird dies im Bereich der Schulverpflegung, sagt Barbara Kaiser: „Wenn Schülerinnen und Schüler in der Klasse erfahren, wie toll frisches Gemüse schmecken kann und dann in der Schulmensa den labbrigen Salat oder verkochte, fantasielose Gemüsebeilagen vorfinden, widerspricht sich das und setzt genau das falsche Zeichen.“ Eine große Chance hingegen sei es, so Kaiser weiter, die Schülerschaft partizipativ mit einzubinden – sei es durch Aktionen in Projektwochen, den eigenen Betrieb des Schulkiosk oder die Beteiligung am Mensaausschuss.