Die Corona-Pandemie hat dem digitalen Arbeiten in der Schule einen Schub verpasst. Verschiedene Studien belegen: Aus der Schuldigitalisierung erwachsen für Lehrkräfte und Schüler neue Herausforderungen und Potenziale. Fachliche Orientierung im digitalen Bildungsdschungel ist gefragt.
Eltern, Lehrkräfte und die Schülerschaft mussten in den vergangenen Monaten feststellen, dass die Digitalisierung deutscher Schulen nicht so weit vorangeschritten ist, wie es vielleicht nötig gewesen wäre. Egal ob Endgeräte, digitale Unterrichtskonzepte oder passende Plattformen – die Mängelliste wurde in den Corona-Monaten immer länger. Eine Studie unter Mitgliedern der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aus dem Sommer 2020 zeigt beispielsweise, dass neun von zehn Lehrkräften ihre privaten Endgeräte für dienstliche Zwecke nutzen müssen. Hier erkannte auch der Bund Handlungsbedarf und brachte als Reaktion auf die Corona-Pandemie einen Zusatz zum Digitalpakt auf den Weg. So sollten Endgeräte in den Schulen mit einer halben Milliarde Euro deutschlandweit finanzieren werden. Zu wenig, findet GEW-Vorstandsmitglied Ansgar Klinger: „Wir brauchen dringend eine öffentliche Finanzierung von Endgeräten. Die zusätzlichen 500 Millionen Euro, die in der Corona-Krise bereitgestellt wurden, sind nur ein Anfang. Bildungsinfrastruktur vorzuhalten, ist eine wichtige öffentliche Aufgabe.“ Schon vor dem Corona-Sonderprogramm schätzte die GEW die Mittel des Digitalpakts als zu gering ein. Der Gesamtbedarf aller Schulformen läge über die fünfjährige Laufzeit des Digitalpakts bei rund 21 Milliarden Euro - viel mehr also, als die bereitgestellten 5,5 Millionen Euro. Die Bundesregierung teilte auf Anfrage der FPD zudem mit, das bis Ende Juni 2020 nur 15,7 Millionen abgeflossen sind.
Dabei wird die digitale Schule immer wichtiger. 93 Prozent der befragten GEW-Mitglieder an Schulen nutzten digitale Medien im Unterricht, davon 55 Prozent mehrmals wöchentlich. Das Studienfazit: Bund, Länder und Kommunen müssen mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung dafür sorgen, dass deutlich mehr Geld in die Digitalisierung der Schulen gesteckt wird. Die bewilligten Digitalpakt-Mittel würden laut einer früheren Untersuchung gerade einmal ein Viertel des Gesamtbedarfs an den Schulen decken. Nicht nur bei der Ausstattung, sondern auch bei den Themen Datenschutz, Fortbildung und technische Unterstützung belegt die Studie Defizite. Nur knapp die Hälfte der Befragten hält den Datenschutz für ausreichend geklärt, 39 Prozent beschreiben ihn als eher oder überhaupt nicht geregelt.
Verbraucherschützer warnen
Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) warnte zuletzt in einem Interview vor der Rolle, die Unternehmen bei der Digitalisierung des Unterrichts spielen. Für viele sei die Schule Datenmine und Werbeplatz zugleich: „Wenn mit einem Endgerät zugleich ein Cloudsystem, eine Verkaufsplattform und ein App-Store mitgeliefert werden, sperren wir Schüler gewissermaßen in eine geschlossene Produktwelt ein.“ Das müsse auch bei der Ausrüstung der Schulen bedacht werden. „Wir brauchen an Schulen sicher eine gute digitale Ausstattung. Dann müssen Schüler aber gleichzeitig lernen, dass es Vielfalt gibt und im Netz nicht nur richtige Informationen umherschwirren, sondern auch viele falsche.“
Dass der Digitalisierungsschub durch Online-Unterricht den Einfluss der Tech-Konzerne in den Schulen verstärkt, hat auch Tim Engartner erkannt. Er ist Professor für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Frankfurter Goethe-Universität und hat die Studie „Ökonomisierung schulischer Bildung. Analysen und Alternativen“ im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung vorgelegt. „Ich sehe die Gefahr, dass die Digitalisierung der Bildungswelten zum weit geöffneten Einfallstor für Unternehmensinteressen wird, weil die rechtlichen Rahmenbedingungen seitens der zuständigen Ministerien fehlen“, so Engartner. Ihm zufolge ist die Digitalisierung der Schulen eher von ökonomischen Interessen als von pädagogischen Konzepten geprägt. Es bleibe deshalb abzuwarten, ob der Milliarden Euro schwere „DigitalPakt Schule“ Lehrenden und Lernenden das Lehren und Lernen wirklich erleichtern wird.
Die Ursache für den Einfluss externer Konzerne liege auch in einer jahrzehntelangen Tatenlosigkeit von staatlicher Seite, stellt Björn Schreiber, Referent Verbraucherbildung beim Verbraucherzentrale Bundesverband, fest. „Schulen, die Digitalisierung als wichtiges Thema für sich ausgemacht haben, wurden daher ein Stück weit dazu gezwungen, sich auf externe Anbieter zu verlassen.“
Lizenzfreie Informationsquellen und digitale Schulbücher
Die Vorbehalte, die mit der Schuldigitalisierung einhergehen sind nicht neu. Birgit Eickelmann, Professorin für Schulpädagogik an der Universität Paderborn, bemängelte bereits vor drei Jahren, Deutschland hinke bei der gelungenen Digitalisierung hinterher. Dennoch gebe es auch Positivbeispiele. Eickelmann nannte Schulen, an denen bereits digitale Lernplattformen eingerichtet wurden, die die Schüler auch von zu Hause erreichen können. Eine Schlüsselrolle sieht die Pädagogin auch in der Verwendung lizenzfreier und offen zugänglicher Informationsquellen, den „Open Educational Resources“ (OER).
Wenn es um adäquates Unterrichtsmaterial geht, ist es auch wichtig, im Unterricht auf methodisch qualitativ hochwertige und neutrale Materialien setzen zu können. Dabei unterstützt der Materialkompass der Verbraucherzentrale, der auf Grundlage evaluierter Bewertungskriterien bei Unterrichtsmaterialien „die Spreu vom Weizen trennt“. Lehrkräfte können so gezielt nach methodisch qualitativ hochwertigen und neutralen Materialen suchen und damit das digitale Schulerlebnis optimieren.
Welche Hürden Lehrkräfte bei den Themen Datenschutz in Schul-Clouds und Chat-Programmen beachten müssen, hat Verbraucherbildung bereits in eigenen Beiträgen zusammengefasst.