Jede Kaufentscheidung, die wir treffen, stellt eine Wahl dar – und dies gleich im doppelten Sinne des Wortes.
Zum einen treffen wir mit dem Kauf eine Auswahl aus einer nahezu unüberschaubaren Vielzahl von Gütern und Dienstleistungen. Ferner birgt der Kauf politisches Potenzial, da er einem Wahlakt gleicht: als Abstimmung für oder gegen ein Produkt, für oder gegen einen Anbieter, für oder gegen Produktionsbedingungen.
Immer mehr Menschen achten bei ihren Kaufentscheidungen darauf, dass sie Güter nicht nur nach funktionalen und preisgebundenen, sondern auch nach (verbraucher)politischen Kriterien auswählen – ob sie etwa humanitäre, ökologische und technische Mindeststandards erfüllen. In einer Konsumgesellschaft wie der unsrigen hat diese „Moralisierung der Märkte“ wahrhaft revolutionäres Potenzial. Immer mehr Konsumenten und Produzenten wenden sich von der auf reine Nutzen- und Wertvermehrung gerichteten Zweckrationalität ab und zeigen stattdessen ein von moralischen Kriterien geleitetes (Markt-)Verhalten.
Damit sind die Zeiten passé, in denen ethisch verantwortungsvoller Konsum ausschließlich als politisch motiviertes Distinktionsverhalten des links-alternativen Milieus oder als nach Aufmerksamkeit heischender Gestus utopiegläubiger „Weltverbesserer“ interpretiert wurde. Immer mehr Menschen sind willens, sich über die Qualität des Produkts zu informieren, um eine rationale und/oder moralische Kaufentscheidung zu treffen. Unweigerlich erzeugen sie damit einen wirksamen Wettbewerbsdruck auf Seiten der Produzenten. Die zahlreichen Bio-Produktlinien in diversen Supermärkten sind sicht- und spürbares Zeichen dieser Entwicklung.
Produktinformationen mit Hilfe von Gütesiegel
Dabei kommt der Umwelt- und Sozialverträglichkeit besondere Bedeutung zu. Um diese einschätzen zu können, brauchen Verbraucherinnen und Verbraucher indes verlässliches Wissen über die Herkunft, die Fertigung und den Vertrieb von Waren. Zahlreiche relevante Eigenschaften wie z. B. die Materialfestigkeit oder die Recyclingfähigkeit blieben ihnen jedoch verborgen, wenn nicht Umwelt- und Sozialsiegel die zu Gunsten der Produzenten wirkenden Informationsasymmetrien (teilweise) auflösen würden. Prüfzeichen (Bio-Siegel, Blauer Engel, Fair Trade) geben uns ebenso wie das Energielabel, das elektrische Geräte hinsichtlich ihrer Energieeffizienz kategorisiert, und das Goodweave-Siegel, das als frei von Kinderarbeit produzierte Teppiche kennzeichnet, wertvolle Hinweise.
Gütesiegel verstehen – eine Aufgabe für die Verbraucherbildung
Kindern und Jugendlichen einen Einblick in die Aussagekraft der verschiedenen Umwelt- und Sozialsiegel zu ermöglichen, sie mit den politischen Implikationen von Produktions-, Arbeits- und Handelsbedingungen von Produkten zu konfrontieren und damit zu einem ethisch verantwortungsvollen Konsum zu motivieren, lässt sich insofern als zentrale Herausforderung der Verbraucherbildung begreifen: Mit der Wahl zwischen Waren und Herstellern können in gewissem Umfang Unternehmenspolitiken und institutionelle Strukturen verändert werden. Die pädagogische Absicht, Konsumentscheidungen zu hinterfragen und womöglich gar zu politisieren, stellt ein unverzichtbares Gegengewicht zur Welt der Werbung dar, die uns beim Fernsehschauen, bei der Zeitungslektüre und beim Gang durch die Fußgängerzone förmlich erschlägt: Die bunte Welt des Konsums benötigt eine kritische politisch-ökonomische Analyse, um ihr nicht hilflos gegenüber zu stehen.
Autor: Prof. Dr. Tim Engartner, Professur für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt am Main