Die Privatsphäre durch digitale Selbstverteidigung schützen, Medien und ihre Wirkung verstehen, selber Medienmacher werden – in Baden-Württemberg stehen solche Themen bald von der ersten Klasse an auf dem Stundenplan. Möglich macht’s ein neuer Bildungsplan, der die Verbraucher- und die Medienbildung zu Leitperspektiven adelt. Was dahinter steckt, erklärt Wolfgang Kraft, Direktor des Landesmedienzentrums Baden-Württemberg (LMZ), im Interview.
Herr Kraft, Medienbildung wird in Baden-Württemberg ab kommenden Schuljahr fächerübergreifend unterrichtet. Etwas spät, oder?
Im Gegenteil. Wir setzen uns damit an die Spitze aller Bundesländer und setzen als erste eine entsprechende Empfehlung der Kultusministerkonferenz (KMK) aus dem Jahr 2012 um. Die hatte sich damals für eine umfassende, alle Fächer einbeziehende Medienbildung ausgesprochen. Wir setzen das jetzt zum kommenden Schuljahr um. In allen Schularten, viel intensiver als zuvor und bereits von der ersten Klasse an.
Dieser fächerübergreifende Ansatz – warum ist er überhaupt wichtig?
Weil wir in einer Mediengesellschaft leben, die Einfluss auf alle Lebensbereiche hat. Auf die Art, wie wir uns informieren, konsumieren oder kommunizieren. Deswegen sind auch alle Schulfächer von Medienbildung betroffen. Es bringt nichts, diese Themen in einem einzigen Fach unterzubringen und sie in anderen Fächern auszublenden. Medien machen einen immer größeren Teil unserer Lebenswirklichkeit aus. Darauf müssen sich alle Fächer einlassen.
Wie soll das im Unterricht konkret aussehen?
Da gibt es in jedem Fach Anknüpfungspunkte. In Religion oder Ethik kann zum Beispiel das Nachdenken über die Wirkung von Medien Thema sein, etwa was es heißt, Opfer von Cybermobbing zu werden. In Deutsch kann es die Analyse eines Filmes oder einer Website sein, in Kunst die Produktion eigener Medien. Selbst in Sport kann man mit Medien bilden – wenn Übungen per Video aufgezeichnet und ausgewertet werden. Medienbildung heißt nicht nur, sich mit Online-Medien zu beschäftigen.
Die werden aber immer wichtiger…
…und die Leitperspektive Medienbildung räumt ihnen viel Platz ein. Der Datenschutz im Netz spielt eine wichtige Rolle. Wir wollen unseren Schülerinnen und Schülern klar machen, was es bedeutet, wenn sie ihre persönlichen Daten Unternehmen wie Google und Facebook bereitstellen. Wir können sicher nicht verhindern, dass sie es zum Teil tun. Aber sie sollen sich bewusst sein, was sie da machen und lernen, selbst Grenzen zu ziehen. Und es geht auch um ethische Fragen: Wie wir im Netz miteinander umgehen beispielsweise.
Mit den neuen Bildungsplänen wurde auch die Verbraucherbildung zur Leitperspektive geadelt. Wo berührt sie die Medienbildung?
Etwa beim Thema Datenschutz in sozialen Netzwerken oder beim Einkaufen im Netz. Das sind Themen, die sowohl für die Medien- als auch die Verbraucherbildung zentral sind. Deswegen kooperieren wir ganz eng mit den Kolleginnen und Kollegen, die sich inhaltlich um die Leitperspektive Verbraucherbildung kümmern und entwickeln gemeinsam Unterrichtsbeispiele.
Was sagen die Lehrkräfte zur neuen Leitperspektive Medienbildung? Fühlen sie sich dafür gewappnet?
Ich denke, unsere Lehrerinnen und Lehrer haben sehr wohl erkannt, dass Medien zunehmend die Lebenswirklichkeit unserer Kinder darstellen und Schule das nicht ausblenden kann. Die Lehrkräfte wollen aber auch, dass die Voraussetzungen stimmen: Neben pädagogischer Unterstützung heißt das eben auch, Ihnen die Technologien und Medien zur Verfügung stehen, die sie für guten Unterricht brauchen. Das wird um so wichtiger, wenn Medienbildung jetzt nicht mehr einzig im Computerraum, sondern auch in den Klassenzimmern stattfindet.
Und wie steht es um das inhaltliche Know-how der Lehrkräfte?
In der zweiten Phase der Lehrerausbildung, in den Seminaren, werden Umgang und Arbeit mit Medien seit Langem geübt. Es gibt selbstverständlich amtliche Fortbildungen zur Medienbildung. Außerdem haben wir in Baden-Württemberg an jeder Schule Multimediaberater, die ihren Kolleginnen und Kollegen bei Fragen zur Seite stehen. Und in keinem anderen Bundesland gibt es ein so dichtes Netz an Stadt- und Kreismedienzentren wie bei uns. Die dortigen Fachleute helfen bei technischen Fragen ebenso wie bei pädagogischen.
Viele Jugendliche dürften ihren Lehrerinnen und Lehrern dennoch voraus sein…
Ich denke, es ist immer sinnvoll, wenn Lehrkräfte ihre Schülerinnen und Schüler in den Unterricht einbinden, auch helfend einbinden. Auch deswegen bilden wir in Baden-Württemberg jedes Jahr 700 Jugendliche zu Schülermedienmentoren aus. Mit ihren Kompetenzen können sie Klassenkameraden ebenso wie den Lehrkräften zur Seite stehen, im Unterricht und auf dem Pausenhof.
Und die Schulbücher? Sind die auf die neue Leitperspektive geeicht?
Bei der Entwicklung der neuen Bildungspläne waren die Schulbuchverlage früh eingebunden, so dass sie hoffentlich mit Einführung der Bildungspläne im kommenden Schuljahr entsprechende Bücher bereitstellen können. Wo ich noch Luft nach oben sehe, ist die Flankierung dieser Schulbücher mit medialen Angeboten der Verlage – Filmen oder Online-Medien etwa, die sich direkt im Unterricht einsetzen lassen.
Sonst läuft alles rund?
Wir sind auf gutem Weg. Aber die Mediengesellschaft entwickelt sich in rasantem Tempo. Daraus ergibt sich ein permanenter Aus- und Fortbildungsbedarf. Da brauchen Lehrkräfte auch in Zukunft Unterstützung. Sie selbst können schließlich nicht jede Entwicklung oder jeden Trend selbst mitverfolgen. Das müssen weiterhin zentrale Stellen wie unsere leisten – sollen die Schulen und die Institutionen der Lehrkräfteaus- und -fortbildung nicht abgeschlagen der Wirklichkeit hinterhinken.
Datum: 22.10.2015
„Unsere Mediengesellschaft lässt sich nur fächerübergreifend verstehen“
Interview mit Wolfgang Kraft, Direktor Landesmedienzentrum Baden-Württemberg (LMZ)