Die öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland haben Schwierigkeiten, junge Menschen zu erreichen, die ihre Informationen vermehrt über Social Media beziehen. Dadurch werden sie anfällig für Falschnachrichten. Dabei bietet gerade das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem viele Möglichkeiten, Medienkompetenz zu lernen.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht vor großen Herausforderungen: Eine geplante Erhöhung des Rundfunkbeitrags auf 18,36 Euro ist politisch umkämpft. Manchen Kritikern gelten ARD und ZDF als „zu links“, andere bemängeln das Programm der Rundfunkanstalten, das sich hauptsächlich an die Generation 50+ richte.
Tatsächlich haben die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehsender in Deutschland Probleme, mit ihren Nachrichtenangeboten junge Menschen anzusprechen, wie aus einem Bericht hervorgeht, den das Reuters-Institut für Journalismusforschung 2019 an der Uni Oxford vorgelegt hat. In Deutschland erreichen die Nachrichtenangebote von ARD, ZDF und Deutschlandradio der Studie zufolge zwar 48 Prozent der 18- bis 24-Jährigen über TV oder Radio. Im für diese Altersgruppe wichtigen Online-Bereich sind es aber lediglich 19 Prozent, weniger als beispielsweise bei Facebook oder Youtube. Laut Marcus Bornheim, Chef von ARD-aktuell, kommt man an junge Mediennutzerinnen und -nutzer inzwischen vor allem über Digitalplattformen heran. „Insofern glaube ich, dass in der Tat der Gang in die sozialen Medien der entscheidende ist, weil sich dort junge Menschen aufhalten“, so Bornheim.
Jugendliche in der Filterblase
Klassische Medien, vor allem die öffentlich-rechtlichen, verlieren ihre bisherige Rolle zunehmend an die sozialen Medien, sagt Christa Gebel vom „JFF – Institut für Medienpädagogik“: „Bei den 16- bis 18-Jährigen haben die sozialen Netzwerke inzwischen höhere Nutzungszahlen als redaktionelle Internetquellen.“ Das wirkt sich auch auf die Meinungsbildung aus, belegen die Ergebnisse der MedienGewichtungsStudie. Sie zeigen, dass die jüngere Generation sich bei Mediennutzung und Relevanzzuschreibung stark vom Rest der Bevölkerung unterscheidet. Das Meinungsbildungsgewicht des Internets liegt in dieser Gruppe fast doppelt so hoch wie das des Rundfunks insgesamt. „Schwierig wird das“, so Gebel, „wenn die Herkunft einer Meldung aus sozialen Netzwerken nicht überprüft wird. Und die Gefahr besteht, denn Jugendlichen ist es wichtig, dass sie schnell das Aktuellste wissen; dass Informationen geprüft sind, ist ihnen nicht ganz so wichtig.“ Das bedeute nicht, dass Nachrichten in sozialen Netzwerken grundsätzlich falsch sind oder nur aus nicht journalistischen Quellen stammten. „Aber es kommt zu einer sozialen und algorithmischen Filterung“, so die Diplom-Psychologin. Eine solche „Filterblase“ könne dafür sorgen, dass die ankommenden Nachrichten tendenziell homogener sind und Meldungen nach anderen Kriterien ausgewählt werden als durch eine Nachrichtenredaktion.
Journalismus im Unterricht
Wie die Öffentlich-Rechtlichen und Journalismus generell funktionieren und arbeiten, sollte in den Unterricht einfließen. Das könne dazu beitragen, dass Schülerinnen und Schüler lernen, Falschnachrichten besser zu erkennen, findet Dr. Christine Horz, die an der Fakultät für Informations- und Kommunikationswissenschaften der TH Köln tätig ist. „Was wir heute zumeist an Medienkompetenzvermittlung sehen, folgt einem technikdeterminierten Verständnis oder richtet sich an die Nutzer als Opfer.“ Sie wünscht sich, dass neben Themen wie Cybermobbing und Datenschutz die Schüler mehr über Medien und ihre Funktionsweisen lernten. „Dazu gehört etwa die zentrale Stellung der Medien für die Meinungsbildung, für politische und kulturelle Partizipation, die Chance von Vernetzung und Austausch sowie die Möglichkeiten der Schaffung alternativer Öffentlichkeiten im Gegensatz zu Echo-Kammern.“ Hier gibt es in den Lehrplänen noch Nachholbedarf. Laut einer Untersuchung der Vodafone-Stiftung wird in der Schule der Umgang mit Falschnachrichten und Hasskommentare kaum thematisiert, dabei wünschen sich drei Viertel der Schülerinnen und Schüler mehr Aufklärung hierzu im Unterricht. Derzeit recherchieren die Meisten ihre Fragen zu Social Media allein im Netz.
Öffentlich-rechtlicher Unterricht
Gerade hier bieten sich Kooperationen mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk an, finden die Medienexpertinnen Horz und Gebel. Sie stellen sich im Sinne einer umfassenden Medienbildung eine engere Zusammenarbeit von Bildungseinrichtungen und den Öffentlich-Rechtlichen vor. So könnten Journalisten öffentlich-rechtlicher Medien beispielsweise den Unterricht besuchen, um über ihre Arbeitsweise und ihren gesellschaftlichen Auftrag aufzuklären. Entsprechende Angebote im Digitalbereich gibt es bereits zum Teil. Die Online-Plattform „So geht Medien“ des Bayerischen Rundfunks vermittelt beispielsweise Medienwissen in Form von Videos und Unterrichtsmaterialien an Lehrer und Schüler. Die Themen sind für den Unterricht konzipiert und bieten komplette Stundenabläufe mit Ideen, bei denen die Schülerinnen und Schüler selbst aktiv werden müssen und selbst mit Kamera und Mikro kleine Beiträge produzieren.
Durch solche Angebote und ein angepasstes Programm könnte der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine notwendige Lücke füllen und sich wieder eine jüngere Zielgruppe erschließen, findet Christa Gebe. Für sie ist sicher: Wollen die öffentlich-rechtlichen Sender für die Jüngeren noch eine Rolle spielen, müssen sie sich modernisieren. „Jugendliche lehnen die öffentlich-rechtlichen Programme ja nicht wegen ihres Auftrags ab, sondern weil sie in der Machart oft zu behäbig und trocken daherkommen und für weniger Gebildete oft schwer verständlich sind. Verständliche Nachrichten und Magazine zu machen, die trotzdem komplexen Sachverhalten gerecht werden und an die Interessen der Jugendlichen anknüpfen, ist eine echte Herausforderung.“ Zudem sei der Einbezug von Online-Medien wichtig.
Der WDR holt sensible Themen mithilfe der „Augmented Reality“-Technik direkt in die Schule. Die App „WDR AR 1933-1945“ macht erfahr- und spürbar, was Zeitzeugen im zweiten Weltkrieg erlebt haben, indem sie Interviewpartner als Hologramme ins Klassenzimmer projiziert. Unterfüttert wird das Projekt mit begleitendem Unterrichtsmaterial, damit Schülerinnen und Schüler das Gesehene korrekt einordnen und bewerten können.
Das Online-Angebot „funk“ von ARD und ZDF für junge Erwachsene zwischen 14 und 29 Jahren ist ein weiterer Versuch, Jugendliche im Digitalbereich abzuholen. Im „funk“-Content Netzwerk werden Inhalte nicht nur über die eigene Webpräsenz, sondern zusätzlich auch über Plattformen wie YouTube, Facebook, Twitter, Instagram, TikTok oder Snapchat ausgespielt. Im Format „mailab“ konterte Wissenschaftlerin Mai Thi Nguyen-Kim bei Youtube in mehreren Videos Falschmeldungen und Verschwörungstheorien rund um die Corona-Pandemie – alles unter dem funk-Banner. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk versucht also bereits dorthin zu gehen, wo die Meinungsbildung junger Menschen und die Diskussion um gesellschaftlich relevante Themen stattfindet.
Weitere Inspirationen für gelungene Medienprojekte und -workshops im Schulbereich finden sich unter den Preisträgern des Netzwerks „Verbraucherschule“. Denn das Feld „Medien & Information“ gehört zu einem der Kernbereiche der Verbraucherbildung.