Die Förderung der Gesundheitskompetenz von Schüler:innen haben Schulen längst als ihre Aufgabe angenommen. Warum es sich gleichzeitig lohnt, die des Lehrkollegiums auch in den Blick zu nehmen, weiß Uta Klusmann, stellvertretende Direktorin der Abteilung Erziehungswissenschaft und Pädagogische Psychologie am Kieler Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN), Professorin für Empirische Bildungsforschung an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Expertin für Gesundheit im Lehrerberuf.
Warum sollten sich Schulleitungen bemühen, die Gesundheitskompetenz von Lehrkräften zu fördern?
Die Gesundheitskompetenz von Lehrkräften und vor allem ihre mentale Gesundheit sind zentrale Voraussetzungen für erfolgreiches Lehren und Lernen im schulischen Kontext. Dass Lehrkräfte gesund sind und bleiben, ist einmal für diese selbst wichtig: für ihr Wohlbefinden, sodass sie ihrer Arbeit mit Engagement nachgehen können. Gleichzeitig ist die Gesundheit von Lehrkräften für die Schule wichtig, um Fehlzeiten zu vermeiden und einen langfristigen Verbleib im Schuldienst sicherzustellen. Und sie ist auch für die Schülerinnen und Schüler wichtig, weil wir in unseren Studien sehen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Befinden einer Lehrkraft und der Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler, wie sie sich von der Lehrkraft unterstützt fühlen und wie motiviert sie sind.
Inwiefern stellt der Schulalltag eine Belastung für die Gesundheit von Lehrer:innen dar?
In unseren Studien sehen wir, dass das berufliche Wohlbefinden etwas sehr Subjektives ist. Gleichzeitig gibt es belastende Faktoren, die viele Lehrkräfte nennen. Dazu gehören Unterrichtsstörungen, das Unterrichten von vielen unterschiedlichen Gruppen an einem Tag, fehlende Pausenzeiten und kurzfristige Vertretungsstunden. Aktuell haben Lehrer:innen in einer Befragung auch die Folgen der Covid-Pandemie als belastend genannt; sie beobachten demnach mehr Verhaltensprobleme bei den Schülerinnen und Schülern. Sie nennen auch den Lehrkräftemangel als spürbare Belastung für die Kolleg:innen, die an der Schule tätig sind, weil sie bei Ausfällen häufiger einspringen müssen und Vorhaben nicht realisieren können.
Wenn Stresserleben derart subjektiv ist, was lässt sich von Schulseite aus unternehmen, um das Wohlbefinden des Lehrkollegiums zu steigern?
Es gibt sehr engagierte Schulen, die die Gesundheitskompetenz der Lehrkräfte fördern, indem sie zum Beispiel entsprechendes Wissen mithilfe von Expert:innen in die Schule holen, Gesundheitstage veranstalten, Fortbildungen anbieten. Für das Wohlbefinden von Lehrkräften ist aber auch zentral, ob sie sich von der Schulleitung unterstützt und ins Kollegium eingebunden fühlen. Als wichtige Schutzfaktoren gelten daher der soziale Austausch und der soziale Zusammenhalt im Kollegium.
Welche Handlungsoptionen hat denn jede einzelne Lehrkraft, um ihr berufliches Belastungserleben zu reduzieren?
Es gibt mittlerweile einige Programme speziell für Lehrkräfte, die nachweislich das Stress- und das Belastungserleben von Lehrkräften senken. Dazu gehören zum einen klassische Stressmanagement-Programme, bei denen die Teilnehmer:innen lernen, auf welche Situationen sie mit Stress reagieren und welche Ressourcen und Strategien ihnen helfen können, diese Situationen besser bewältigen zu können. Daneben haben in den vergangenen Jahren sogenannte Achtsamkeitstrainings sehr viel Zulauf erfahren. Auch Klassenführungstrainings, bei denen Lehrkräfte Strategien erproben, ihre Klassen sicherer, störungsärmer und effektiver zu leiten, können hilfreiche sein, das individuelle Stresserleben zu reduzieren. Wichtig ist, dass Lehrkräfte ihre Gesundheit, auch die mentale, ernst nehmen, und selbst oder mit Hilfe von außen zum Experten der eigenen Gesundheit und des eigenen Wohlbefindens werden wollen.
Können diese individuellen Handlungsoptionen Lehrkräften auch helfen, mit Stresssituationen umzugehen, an denen sie direkt nichts ändern können, wie dem Lehrkräftemangel?
Wie in vielen Berufen, gibt es auch im Lehrerberuf Anforderungen und bestimmte Bedingungen, an denen die einzelne Person wenig ändern kann. Bei der Bewältigung solcher Situationen, können individuelle Strategien hilfreich sein. Zusätzlich können sich Lehrkräfte auch auf Schulebene mit anderen Kolleg:innen zusammenschließen und versuchen, die Schulkultur gesundheitsförderlich zu gestalten. Je weiter sie allerdings im Schulsystem nach oben gehen, umso mehr nimmt die individuelle Beeinflussbarkeit ab.
An dieser Stelle noch einen Schritt weitergedacht, weil wir gerade über die Schulkultur sprechen: Inwiefern sind Lehrkräfte und Schulleitungen auch dafür verantwortlich, auf die mentale Gesundheit ihrer Schüler:innen zu achten?
Das ist ein sehr aktuelles Thema. Im Zuge von Covid sehen wir, dass die mentale Gesundheit der Kinder und Jugendlichen gelitten hat. Zusätzlich sehen wir, dass die Lehrkräfte diese Veränderung wahrnehmen und dass sie sie belastet, weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen können. Eine starke Zusammenarbeit mit Schulpsychologen und Schulsozialarbeitern, die sie dabei unterstützt, wäre wünschenswert. Lehrkräfte sind keine Psychologen oder Therapeuten, aber sie sind so nah dran am Alltag der Kinder und Jugendlichen, dass ihnen schnell auffällt, wenn Kinder belastet scheinen. Deshalb wäre es für Lehrkräfte wichtig, für solche Situationen einen professionellen Ablauf zu haben, zu wissen, an wen sie ein Kind verweisen können. Das gibt Sicherheit und entlastet Lehrkräfte.