Die Daten von Schülern sind für Unternehmen pures Gold. Über Cloud-basierte Plattformen ist es IT-Konzernen beispielsweise möglich, darauf zuzugreifen. Damit Schulen in Deutschland in Zukunft sicher kommunizieren, Daten speichern und Inhalte abrufen können, lässt das Bundesbildungsministerium aktuell eine eigene Plattform entwickeln. Auch einzelne Bundesländer reagieren auf die steigende Nachfrage nach Schul-Clouds – und machen sich intensiv Gedanken um den Datenschutz.
Eine aktuelle Studie aus den USA mit dem Titel „Spying on Students“ macht das Problem anschaulich: IT-Konzerne, so das Ergebnis einer Untersuchung der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation, sammeln Daten von Schülern, ohne dass deren Eltern zugestimmt hätten. Es geht dabei zunächst wohl nur um Namen und Adressen. Damit ist allerdings die Grundlage für umfassende Datenprofile gelegt. Fazit der Forscher: „Die Überwachungskultur beginnt schon in der Grundschule“. Und: Das Problem sei keineswegs auf die USA beschränkt, sondern ein internationales Phänomen.
Der Markt für digitale Bildung boomt weltweit – ein Milliardengeschäft. Dabei setzen Schulen gerne auf kostenlose Programme. In der Schweiz warnten unlängst Datenschützer vor dem Einsatz des Gratis-Programms Office365 für Schüler und Lehrer von Microsoft, das cloudbasiert funktioniert und persönliche Daten wie Namen und Adressen der Schüler speichert. In Deutschland benutzen vor allem Berufsschulen dieses Programm. Die Vorbehalte betreffen jedoch nicht allein Microsoft, sondern auch andere Cloud-Anbieter, wie „Dropbox“, Apple mit seiner „Classroom-App“ oder das Unternehmen Google, das vor allem in den USA sowohl die Hardware als auch die Software für Schulen bereitstellt – „bezahlt“ wird mit Daten.
Die Wolkendecke wird dichter
Auch in Deutschland befürchten Datenschutzbeauftragte den Missbrauch von Schülerdaten durch US-Cloud-Dienste. „Ausländische Anbieter können aufgrund ihrer nationalgesetzlichen Regelungen nicht ausschließen, dass die Daten auch durch Sicherheitsbehörden ausgewertet werden. Oder die Anbieter behalten sich selbst vor, die Daten zu eigenen Zwecken zu analysieren, um beispielsweise Werbung zu schalten“, so die Datenschutzbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein. Im Interview weist sie darauf hin, dass für Schulen die Verpflichtung besteht, verantwortungsvoll und gesetzeskonform mit personenbezogenen Daten umzugehen – vor allem bei kostenlosen cloudbasierten Diensten, zu denen auch Lernplattformen, Kooperationsplattformen, Online-Speicheranbieter sowie Kommunikationsplattformen gehören. In Niedersachsen hat die Datenschutzaufsichtsbehörde eine extra Orientierungshilfe für Online-Kooperationsplattformen als serverbasierte Anwendungen herausgegeben, da die Unsicherheiten in diesem Bereich noch immer groß sind.
Daten dazu, wie viele Schulen in Deutschland Cloud-basierte Datenverarbeitung nutzen, gibt es nicht. Experten schätzen jedoch, dass etliche Schulen die Vorteile solcher Plattformen nutzen. Vor allem Lernplattformen bieten Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, orts- und zeitunabhängig zu lernen. Häufig werden auch Lernfortschritte analysiert und daraufhin individuelle Übungen zusammengestellt, zunehmend finden sich dort auch sensible, personenbezogene Daten wie Schulnoten wieder. Genau solche Anwendungen schüren auch Ängste: Gibt es also bald den gläsernen Schüler, dessen individuelle Stärken und Schwächen im Netz so gut erfasst werden, dass die Internetwirtschaft ihm maßgeschneiderte Nachhilfe anbieten kann? Droht gar ein Handel mit sensiblen Schülerdaten, der es Arbeitgebern künftig erlaubt, die Schulkarriere von Bewerbern, samt Ausrutschern, lückenlos nachzuvollziehen.
Diese Albtraumszenarien haben in Deutschland die Politik auf den Plan gerufen: In Nordrhein-Westfalen hat das Schulministerium das Portal „Logineo“ entwickeln lassen, das den Schulen des Landes „eine geschützte Arbeitsplattform für optimale Kommunikation, Organisation und Dateiverwaltung“ bieten soll. „Logineo“ geht im September 2017 an den Start. Bremen kooperiert bereits mit „itslearning“, einem privaten Anbieter schulischer Netzwerke.
Die Bundes-Schul-Cloud
Eine Schul-Cloud in staatlicher Verantwortung für ganz Deutschland gibt es bislang nicht. Deshalb wurde jetzt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ebenfalls aktiv und fördert das Pilotprojekt einer Cloud, die bundesweit Schulen eine „sichere digitale Lerninfrastruktur“ bieten soll, wie es beim BMBF heißt. Damit könnte zukünftig die Herausforderung entfallen, dass jede Schule für sich eigene digitale Lösungen entwickeln muss – und dabei eventuell auf die Unterstützung der Konzerne angewiesen wäre. Zuständig für die Entwicklung ist das Hasso-Plattner-Institut (HPI), das durch den SAP-Gründer gestiftete An-Institut der Universität Potsdam für Softwaresystemtechnik.
Zweierlei steht bei der Schul-Cloud im Fokus: einerseits einen speziell auf den Bedarf von Schülern und Lehrkräften abgestimmten, kostengünstigen Rahmen für einen praxistauglichen Umgang mit digitalen Lernmedien in ganz Deutschland zu schaffen, andererseits dieses Angebot nicht den IT-Riesen und ihrer Datensammelwut zu überlassen. „Wir arbeiten eng zusammen mit mehreren Landesdatenschutzbeauftragten“, sagt Nils Karn, für das Projekt zuständiger Wissenschaftler am HPI. Kernfragen dabei seien: Wie werden Daten anonymisiert? Wie wird sichergestellt, dass sie nicht an Dritte weitergegeben werden können? Wo und wie werden die Daten verarbeitet? Klar sei schon mal, so Karn, dass die Server, in denen die Informationen abgelegt werden, nicht in den USA liegen dürfen – also außerhalb der Einflussgrenzen der deutschen beziehungsweise europäischen Gesetzgebung.
Die Sicht der Schulen
Am Anfang, so berichtet Karn, habe eine Befragung von Schulen des Schulnetzwerks „MINT-EC“ gestanden, die in Mathematik und den Naturwissenschaften bereits Erfahrungen mit digitalem Lernen gemacht haben – und die ihren Bedarf konkretisieren konnten. „Die Schulen hätten gerne eine Cloud mit einem einzigen Login, über die kommuniziert werden kann, über die der Datenaustausch läuft und über die wie in einer Bibliothek Inhalte aus unterschiedlichen Medien bezogen werden können“, so erklärt der Experte. „Dabei ist unser Ansatz, möglichst viele Elemente, die es bereits gibt und die gut sind, zu integrieren. Wenn etwa eine Schule schon mit Moodle arbeitet, dann kann sie das auch weiter tun.“
Für die Schule steht naturgemäß eine möglichst störungsfreie Anwendung im Vordergrund. „Die Cloud bedeutet für uns vor allem eins – einen kabellosen Zugang zu unseren Inhalten, und zwar von jedem Ort aus“ sagt Felix Gruber, 1. Stellvertretender Schulleiter des Leininger-Gymnasiums. Das Leininger-Gymnasium ist eine der Pilotschulen, die an dem Projekt teilnehmen. Bevor die Testphase jedoch starten konnte, sei viel Entwicklungsarbeit notwendig gewesen, berichtet Gruber. Alle am Schulleben Beteiligten, auch die Elternschaft, mussten sich für die Teilnahme einverstanden erklären. „Wir versuchen darzustellen, es geht uns nicht um die Ablösung der bisherigen Unterrichtsstruktur“, sagt der ständige Vertreter der Schulleitung. „Es ist eine Zusatzfunktion, die uns neue pädagogische Einsatzmöglichkeiten erschließt.“ Denn so sinnvoll solche neuen Plattformen auch sein können: Ohne ein pädagogisches Konzept und ohne Inhalte nutzen sie – auch wenn sie sicher sind – nichts.