Snacks, Süßigkeiten, alkoholische Getränke – diese eher als ungesund geltenden Lebensmittel finden sich vielfach in den Instagram-Posts bekannter Persönlichkeiten. Darauf weist eine Untersuchung der University of Chicago und der Stanford University hin. Die Autor:innen der Studie mahnen, dass diese reichweitenstarken Abbildungen ungesundes Ernährungsverhalten begünstigen können. Den Schüler:innen dieses Einflusspotenzial bewusst zu machen, sei Bestandteil des Bildungsauftrags von Schulen, sagt Ulrike Johannsen, Professorin für Ernährung und Verbraucherbildung am Institut für Gesundheits-, Ernährungs- und Sportwissenschaften der Europa-Universität Flensburg. Im Interview erklärt sie, wie Lehrkräfte dieses Bewusstsein im Unterricht alltagsnah fördern und zusätzlich ausgewogene Ernährungsmuster unterstützen können.
Inwiefern sind Social Media-Posts prominenter Personen tatsächlich geeignet, das Ernährungsverhalten ihrer jüngeren Follower:innen zu beeinflussen?
Meiner Meinung nach gibt es auf alle Fälle einen Einfluss. Influencer haben teilweise eine enorme Reichweite. Allein der YouTube-Kanal „BibisBeautyPalace“, in dessen Videos sich immer wieder Lebensmittel und Produkte finden, hat fast sechs Millionen Abonnenten. Im Vergleich: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, die auf wissenschaftlicher Basis Ernährungsempfehlungen gibt, hat lediglich 780 Abonnenten. Das zeigt sehr gut, warum im Bereich Ernährungsbildung oft ein Gefühl herrscht wie beim Kampf David gegen Goliath. Das ist auch gerechtfertigt: Marketing nutzt nicht nur die Bekanntheit von Personen, sondern verbindet Produkte auch mit positiven Emotionen wie Fröhlichkeit, Mut, Zugehörigkeit. Und dieses Versprechen bleibt samt Produkt – ob bewusst oder unbewusst – im Gedächtnis.
Bündnis fordert Werbebeschränkungen
Gemeinsam mit einem Bündnis aus rund 40 Organisationen appelliert der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) an die Ampel-Koalition, Kinder und Jugendliche vor Werbung für Lebensmittel mit viel Zucker, Fett oder Salz zu schützen. In einem offenen Brief an die Parteivorsitzenden von SPD, Grüne und FDP fordert das Bündnis ein Gesetz, das
- Junkfood-Werbung in TV, Radio und Streamingdiensten tagsüber von 6 bis 23 Uhr untersagt,
- Influencer:innen vorschreibt, ausschließlich Werbung für gesunde Lebensmittel machen zu dürfen,
- Plakatwerbung in einem Umkreis von 100 Metern um Kitas, Schulen und Spielplätzen verbietet.
Als Grundlage, welche Lebensmittel als ungesund gelten, sollen die Nährwert-Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dienen.
Wie können Lehrkräfte ihre Schüler:innen für dieses Einflusspotenzial sensibilisieren?
Den Schülerinnen und Schülern diesen unbewussten Einfluss bewusst zu machen, ist Teil des Bildungsauftrags von Schulen. In einem ersten Schritt können Lehrkräfte das zum Beispiel mit ihren Klassen anhand von Alltagsverpackungen wie Milchtüten und Müsliverpackungen üben. Wie sind die Produkte aufgebaut? Welchen Effekt hat die Gestaltung? Welche Emotionen werden damit verbunden? Ähnlich lässt sich mit Online-Videos und Social Media-Posts verfahren, die Lebensmittel platzieren: Welche Botschaft wird vermittelt? Wo ist das Produkt platziert und warum ist es so platziert? Daraus lässt sich auch eine Challenge machen: Wer findet das platzierte Produkt zuerst? So lassen sich typische Alltagssituationen vieler Jugendlicher als Bildungssituationen nutzen. Dieses Vorgehen eignet sich hervorragend für den Einstieg.
Daneben gibt es die Möglichkeit, passende Bildungsfilme in den Unterricht zu integrieren, wie den „Werbe-Check“ von Checker Tobi, eine Kindersendung des Bayerischen Rundfunks. Der Moderator geht altersgerecht den Fragen nach, was eine Werbekampagne ist und wie ein guter Werbespruch funktioniert. Er klärt auf, guckt hinter die Fassade und spricht dabei so ein bisschen die Sprache der Jüngeren – das ist anspruchsvoll und trotzdem unterhaltsam.
Ab welcher Altersstufe lässt sich das Thema also pädagogisch sinnvoll aufgreifen?
Das geht schon in der Kita oder auch Vorschule – je früher, desto besser. Denn Werbung richtet sich auch an die Kleinsten, zum Beispiel für die sogenannten Kinderlebensmittel. Und dann gilt es, die Inhalte regelmäßig zu wiederholen und zu erweitern – David gegen Goliath eben.
Wie lassen sich parallel dazu ausgewogene Ernährungsmuster im Schulkontext fördern?
Dabei ist wichtig, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, mit seinen Erfahrungen, seiner Lebenswelt – ganz ohne Wertung. Es lohnt sich, fächerübergreifend zu denken und handlungsorientiert. Im Musikunterricht können die Schülerinnen und Schüler zum Beispiel einen Hip-Hop-Song zum Thema schreiben, produzieren sie zusätzlich ein Musikvideo, spielen Elemente der Medienbildung mit hinein. Es lassen sich auch naturwissenschaftliche Experimente umsetzen: Schüler können zum Beispiel Pflanzenmilch selbst produzieren und die Inhaltstoffe mit denen auf der Verpackung eines gekauften Produkts vergleichen.
In unserer Forschung haben wir zudem gute Erfahrungen mit Peer-Projekten gemacht. Im Zuge eines Gesundheitstags, den Schülerinnen und Schüler der 8. und 9. Jahrgangsstufe für die 5. und 6. Klassen durchführten, konnten wir beispielsweise beobachten, dass die Älteren im Grunde Influencer-Status hatten. Die Jüngeren schauten zu ihnen hinauf. Dadurch hatten die vermittelten Inhalte einen höheren Stellenwert, gleichzeitig war es den Acht- und Neuntklässlern deshalb wichtig, ihre konsumbezogenen Einstellungen und Botschaften, die sie weitergeben wollten, zu reflektieren und zu hinterfragen, um ihrer verantwortungsvollen Rolle nachzukommen.
Und nicht zuletzt kommt es auf das Setting an: Es reicht nicht über ausgewogene Ernährung im Unterricht zu sprechen, das Erlernte muss sich in der Schulverpflegung widerspiegeln. Ernährungsbildung beziehungsweise Verbraucherbildung sollte daher Teil der Schulentwicklung sein – das wäre perfekt.