Mit Grundschüler:innen selber Gemüse anbauen oder mit Jugendlichen aktuelle Lebensmittelskandale zum Anlass nehmen, um die eigenen Ernährungsgewohnheiten zu reflektieren: Ernährungsbildung sollte möglichst alltagspraktisch umgesetzt werden.
„Ernährungsbildung ist nicht zentral geregelt; das heißt, sie ist curricular meist nicht verankert und wenn doch, dann – je nach Bundesland – unterschiedlich“, kritisiert Tina Bartelmeß, Juniorprofessorin für Ernährungssoziologie mit dem Forschungsschwerpunkt gesellschaftliche Ernährungskommunikation an der Universität Bayreuth. Das führe unter anderem dazu, dass die vermittelten Inhalte von der jeweils verantwortlichen Lehrkraft abhängen. Fokussiert die Unterrichtseinheit nur auf gesundheitliche oder auch auf nachhaltige Aspekte von Ernährung? Geht es lediglich ums Essen oder auch ums Trinken? Dabei sei die umfassende schulische Thematisierung wichtig, denn „Schüler:innen werden irgendwann zu Verbraucher:innen und müssen informierte Entscheidungen treffen können“, so Bartelmeß.
Die Ernährungssoziologin empfiehlt daher, erste Grundlagen schon in der Primarstufe zu legen und dort zum Beispiel das Wissen sowie ein Bewusstsein zu schaffen, wie Lebensmittel entstehen: vom Anbau über die Pflege und Ernte bis hin zur Verarbeitung. „Diesen ganzen Prozess sollten Grundschulkinder im Unterricht handlungszentriert durchlaufen, also selbst etwas anbauen und später verarbeiten.“ Auf diese Weise könnten sie selbst erfahren, wie viel Arbeit und Zeit die Lebensmittelproduktion benötigt, und – unterfüttert mit dem zugehörigen Fachwissen – den Prozess besser nachvollziehen.
Noch deutlich mehr Potenzial, Ernährungsbildung mit nachhaltigem Effekt umzusetzen, erkennt Bartelmeß für weiterführende Schulen, „weil sich hier Ernährung als Querschnittsthema in fast jedem Unterricht behandeln lässt“. Das Interesse der älteren Schüler:innen lasse sich der Ernährungssoziologin zufolge zum Beispiel mit einem Bezug zu aktuellen Nachrichten wecken. Ihre Forschung habe gezeigt, dass der Wunsch, bei aktuellen Themen mitreden zu können, für Jugendliche ausschlaggebend sei, sich zu informieren. „Wenn ich an letztes Jahr denke, hätte sich der Tönnies-Skandal dafür gut geeignet.“ Ausgehend vom jeweiligen Geschehen haben Lehrkräfte dann die Möglichkeit, weitere damit verbundene Themen zu beleuchten. Im Fall Tönnies wären das etwa die Hintergründe der Lebensmittelproduktion gewesen, das Wohl der Menschen, die in solchen Fabriken arbeiten, das Tierwohl sowie internationale Handelsketten und -beziehungen.
Erfolgsversprechend sei es auch, einen persönlichen Bezug zum Inhalt der Ernährungsbildung zu schaffen. Dazu eignen sich laut Bartelmeß kleinere Forschungsaufgaben, wie die eigene Familien-Essbiographie zu erkunden. Im Gespräch mit den Eltern oder Großeltern sollen die Schüler:innen dabei herausfinden, wie sich beispielsweise in deren Wahrnehmung das Lebensmittel-Angebot in den vergangenen Jahren, auch mit Blick auf die Jahreszeiten, verändert hat. „Dieses Vorgehen ermöglicht den Schülern einen viel größeren persönlichen Bezug zu Themen wie Regionalität und Saisonalität, als wenn sich ein Lehrer vorne hinstellt und erzählt, dass Erdbeeren im Dezember keine Saison haben.“
Unabhängig von der Schulform sind der Ernährungssoziologin besonders zwei Aspekte für eine wirkungsvolle Ernährungskommunikation wichtig. Zum einen sollten keine spezifischen Lebensmittel im Fokus stehen. „Eine Banane an sich oder auch ein Weizenbrötchen ist nicht per se ungesund. Es geht darum, was ein Kind sonst noch über den Tag isst.“ Verbote oder Gebote im Zusammenhang mit Lebensmitteln könnten zudem zu Diskriminierung führen, da „Lehrer beeinflusst von den eigenen Kulturgrenzen unbewusst eine Vorstellung entwickelt haben, was als gesunde Ernährung zu verstehen ist“. Bartelmeß plädiert daher dafür, den Aspekt der ausgewogenen Ernährung in den Vordergrund zu stellen. Und zum anderen „muss eine gewisse Konsistenz herrschen“. Heißt: Unterrichtsinhalte und schulisches Handeln müssen sich decken. „Es ist kontraproduktiv wiederverwertbare Glasflaschen an Schüler auszuteilen, wenn sie diese im Sportunterricht nicht nutzen dürfen. Das führt nur zu Verwirrung.“