Datum: 16.12.2024

„Grüne“ Gentechnik - Chance oder Risiko?

Zukunfts- oder Risikotechnologie?

Wird das Erbgut von Pflanzen durch technische Verfahren gezielt verändert, spricht man von grüner Gentechnik oder Agro-Gentechnik. Die Nutzung dieser Pflanzen in der Landwirtschaft und in der Nahrungsmittelproduktion wird intensiv diskutiert: Die einen sehen den Vorteil in einer effizienteren Produktion von Nahrungsmitteln und eine Chance, den Hunger zu beenden auf dem Weg zu mehr Ernährungssicherheit. Die anderen warnen dagegen vor irreparablen Schäden für Ökosysteme und einer Ausweitung von Saatgutmonopolen. Im Unterricht bietet die Kontroverse viele Anknüpfungspunkte.

unsplash.com/photos/ruQHpukrN7c - Nachhaltiger Konsum Boden Schößlinge

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 „Grüne“ Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmitteln

Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) werden seit Mitte der 1990er Jahre kommerziell angebaut – laut Industrieangaben auf 190 Millionen Hektar weltweit. Das ist fast zwölf Mal mehr Fläche als in Deutschland für die Landwirtschaft zur Verfügung steht. Zu den fünf Hauptanbauländern zählen die USA, Brasilien, Argentinien, Indien und Kanada. Angebaut werden dort vor allem insektenresistente oder Herbizid tolerante Pflanzen wie Sojabohnen, Mais, Baumwolle und Raps. Viele dieser Pflanzen werden als Futtermittel für Tiere genutzt.

In Deutschland findet derzeit kein kommerzieller Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen statt. Ihre Entwicklung und Erprobung beschränkt sich auf Labore und Gewächshäuser. Freilandversuche – bei denen GVO zu Testzwecken auf Feldern oder Äckern ausgesät werden – sind hierzulande seit 2013 nicht mehr zugelassen worden.Gesetzliche Auflagen und anhaltende Proteste von Verbraucher:innen, Umweltschützer:innen und Landwirt:innen führten zum Anbaustopp.

Gentechnisch veränderte Bananen, Erdbeeren oder Tomaten gibt es daher in deutschen Supermarktregalen nicht zu kaufen. Die EU importiert allerdings genetisch veränderte Pflanzen, wie Soja, Mais und Raps, die in der Landwirtschaft als Tierfuttermittel zum Einsatz kommen. Die EU importiert jährlich etwa 14 Millionen Tonnen Sojabohnen, Deutschland führte davon im Jahr 2023 laut Statistischen Bundesamt 3,19 Millionen Tonnen Soja ein.

Verbraucher:innen wollen Kennzeichnung

Ein Schlupfloch für den Einsatz von Gentechnik sind Bestandteile verarbeiteter Lebensmittel wie Süßwaren und Soßen oder tierische Produkte, wie Eier, Milch und Fleisch. Die Kennzeichnung von genetisch veränderten Bestandteilen in Lebensmitteln ist auf EU-Ebene geregelt: Wenn Lebensmittel aus gentechnisch veränderten Rohstoffen stammen, muss dies kenntlich gemacht werden. 2009 wurde in Deutschland das freiwillige Siegel "Ohne Gentechnik" eingeführt, das Verbraucher:innen Orientierung beim Kauf von gentechnikfreien Lebensmitteln gibt.

Die Mehrheit der Verbraucher:innen spricht sich dafür aus, dass Lebensmittel, die mit Gentechnik hergestellt werden, geprüft und gekennzeichnet werden. Die Naturbewusstseinsstudie 2019 des Bundesamt für Naturschutz (BfN) zum gesellschaftlichen Bewusstsein für Natur, Naturschutz und biologische Vielfalt zeigt, dass Verbraucher:innen selbst entscheiden wollen, ob sie gentechnisch veränderte Lebensmittel essen oder nicht. Sie wünschen sich mehrheitlich strenge Kriterien bei der Sicherheits- und Risikoprüfung gentechnisch veränderter Pflanzen Auch in einer forsa-Umfrage im Auftrag der Verbraucherorganisation foodwatch sprachen sich 92 Prozent der Befragten dafür aus, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel gekennzeichnet werden müssen - unabhängig davon, ob neue Verfahren oder klassische Gentechnik angewendet wurde.

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Neue gentechnische Verfahren

Unter „neuer Gentechnik“ versteht man molekularbiologische Verfahren zur Manipulation von pflanzlichen Erbgut. „Genome Editing“, wie CRISPR/CAS, ist eine molekulare Methode, um DNA an gezielten Stellen zu schneiden. Es ermöglicht präzisere Eingriffe ins Erbgut. Befürworter versprechen erhebliche Fortschritte bei der Entwicklung von Pflanzen, die an den Klimawandel angepasst oder resistent gegen Schädlinge sind. Bisher sind diese Versprechen jedoch nur hypothetisch und es muss sich noch zeigen, ob sie eingehalten werden. Auch ist bisher nicht geregelt, ob und wenn ja, wie diese Technologien sicher in die Umwelt freigesetzt und in Landwirtschaft und Ernährung integriert werden können.

Die Europäische Kommission hat im Juli 2023 einen Vorschlag für einen neuen Rechtsrahmen für Pflanzen, die mithilfe neuer Gentechnik (NGT) gewonnen werden vorgelegt. Sie plant, zahlreiche NGT-Pflanzen von einer Risikobewertung und Kennzeichnung auszunehmen. Sie würden dann nicht mehr dem bisher geltenden Gentechnikrecht und seinen Instrumenten (Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit, Risikobewertung und Zulassung, Standortregister und Monitoring nach Freisetzung) unterliegen. Dieser Ansatz stößt bei Organisationen auf Kritik, da er dem Vorsorgeprinzip der Umwelt-, Verbraucherschutz- und Gesundheitspolitik widerspreche und potenzielle Risiken übersehen werden könnten.

Führende wissenschaftliche Organisationen wie das Bundesamt für Naturschutz und die französische Behörde ANSES kritisieren die vorgeschlagene Deregulierung scharf: ANSES bemängelt, dass die Annahme einer generellen Gleichwertigkeit von NGT-Pflanzen mit konventionellen Pflanzen keine wissenschaftliche Grundlage habe. Das BfN fordert eine Fall-zu-Fall-Bewertung, um plausible Risiken zu identifizieren und auszuschließen.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband fordert mehr Sicherheit und spricht sich klar für eine Regulierung von NGT-Pflanzen aus. Jede genetisch veränderte Pflanze sollte einzeln geprüft werden. In einer zukünftigen europäischen Verordnung dürfe sie nicht vom bisherigen Gentechnikrecht ausgenommen werden. Politische Entscheidungen müssten auf wissenschaftlich validierten Grundlagen basieren. Für mehr Transparenz bedarf es einer lückenlosen Kennzeichnung von Produkten, die aus NGT-Pflanzen hergestellt werden. Die Notwendigkeit, offene Fragen zu beantworten – etwa zu ökologischen Auswirkungen oder unbeabsichtigten genetischen Veränderungen – bleibt zentral.
 

Der Streit um die Gentechnik 

Der Einsatz von Gentechnik wird seit Jahrzehnten von Gesellschaft, Politik, Forschung und Industrie diskutiert. Ein Überblick über zentrale Streitpunkte:

  • Sicherere Lebensmittelversorgung durch Gentechnik? Entwickler:innen von gentechnisch veränderten Pflanzen versprechen, landwirtschaftliche Erträge zu erhöhen. Kritiker:innen argumentieren, dass Hunger und Mangelernährung eher soziale und politische Ursachen haben und mit gerechter Verteilung verknüpft sind, die nicht mit einem Instrument wie der Gentechnik gelöst werden können. Das landwirtschaftliche System als Ganzes sei zu verbessern, es müsse mehr Vielfalt auf den Acker gebracht werden, beispielsweise durch agrarökologische Maßnahmen. Die Patente für Saatgut lägen bei Großkonzernen, wodurch die Abhängigkeit von Staaten, ihrer Bevölkerung und Landwirt:innen in Bezug auf die Lebensmittelversorgung steige.

  • Gentechnik als Antwort auf den Klimawandel? Neue Gentechnikverfahren eröffnen die Möglichkeit, resistente Sorten zu entwickeln, die widerstandsfähiger gegen Schädlinge oder Starkwetterereignisse wie Überschwemmungen und Dürren sind. Diese Sorten funktionieren aber nur in einem industriellen Landwirtschaftssystem: In Monokulturen und mit dem Einsatz von Dünger und Pestiziden. Die Biodiversität ist durch den Klimawandel ohnehin bedroht, genetisch veränderte Pflanzen vermindern somit zusätzlich die Artenvielfalt. 

  • Neue Arbeitsplätze durch Gentechnik? Gentechnik ist eine Zukunftstechnologie und kann somit neue Arbeitsplätze in Wissenschaft und Technologie schaffen. Gleichzeitig schließt sie mit Patenten andere Züchter:innen vom freien Zugang zu Saatgut aus und erschwert damit Züchtungsarbeit.

Die Kontroverse über Gentechnik eignet sich gut für einen fächerübergreifenden Verbraucherbildungsunterricht. Das Unterrichtsmaterial Gentechnik in der Landwirtschaft von Agrar-Koordination bietet Lehrkräften Hintergrundinformationen und dient der Unterrichtsvorbereitung. Schüler:innen setzen sich mit den Nutzen und Risiken von Agro-Gentechnik auseinander. Es wurde von unabhängigen Expert:innen des Materialkompass mit „Gut“ bewertet.

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